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Im Westen Nichts Neues

Im Westen Nichts Neues

Titel: Im Westen Nichts Neues Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Maria Remarque
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rasch.
    Der Sanitäter pfeift leise: »Das kenne ich nun doch besser. Er ist tot. Darauf halte ich jede Wette.«
    Ich schüttele den Kopf. »Ausgeschlossen! Vor zehn Minuten noch habe ich mit ihm gesprochen. Er ist ohnmächtig.«
    Kats Hände sind warm, ich fasse ihn bei den Schultern, um ihn mit Tee abzureiben. Da fühle ich meine Finger naß werden. Als ich sie hinter seinem Kopf hervorziehe, sind sie blutig. Der Sanitäter pfeift wieder durch die Zähne: »Siehst du–«
    Kat hat, ohne daß ich es bemerkt habe, unterwegs einen Splitter in den Kopf bekommen. Nur ein kleines Loch ist da, es muß ein ganz geringer, verirrter Splitter gewesen sein. Aber er hat ausgereicht. Kat ist tot.
    Ich stehe langsam auf.
    »Willst du sein Soldbuch und seine Sachen mitnehmen?« fragt der Gefreite mich. Ich nicke, und er gibt sie mir.
    Der Sanitäter ist verwundert. »Ihr seid doch nicht verwandt?«
    Nein, wir sind nicht verwandt. Nein, wir sind nicht verwandt. Gehe ich? Habe ich noch Füße? Ich hebe die Augen, ich lasse sie herumgehen und drehe mich mit ihnen, einen Kreis, einen Kreis, bis ich innehalte. Es ist alles wie sonst. Nur der Landwehrmann Stanislaus Katczinsky ist gestorben.
    Dann weiß ich nichts mehr.

12.
    Es ist Herbst. Von den alten Leuten sind nicht mehr viele da. Ich bin der letzte von den sieben Mann aus unserer Klasse hier.
    Jeder spricht von Frieden und Waffenstillstand. Alle warten. Wenn es wieder eine Enttäuschung wird, dann werden sie zusammenbrechen, die Hoffnungen sind zu stark, sie lassen sich nicht mehr fortschaffen, ohne zu explodieren. Gibt es keinen Frieden, dann gibt es Revolution.
    Ich habe vierzehn Tage Ruhe, weil ich etwas Gas geschluckt habe. In einem kleinen Garten sitze ich den ganzen Tag in der Sonne. Der Waffenstillstand kommt bald, ich glaube es jetzt auch. Dann werden wir nach Hause fahren.
    Hier stocken meine Gedanken und sind nicht weiterzubringen. Was mich mit Übermacht hinzieht und erwartet, sind Gefühle. Es ist Lebensgier, es ist Heimatgefühl, es ist das Blut, es ist der Rausch der Rettung. Aber es sind keine Ziele.
    Wären wir 1916 heimgekommen, wir hätten aus dem Schmerz und der Stärke unserer Erlebnisse einen Sturm entfesselt. Wenn wir jetzt zurückkehren, sind wir müde, zerfallen, ausgebrannt, wurzellos und ohne Hoffnung. Wir werden uns nicht mehr zurechtfinden können. Man wird uns auch nicht verstehen – denn vor uns wächst ein Geschlecht, das zwar die Jahre hier gemeinsam mit uns verbrachte, das aber Bett und Beruf hatte und jetzt zurückgeht in seine alten Positionen, in denen es den Krieg vergessen wird, – und hinter uns wächst ein Geschlecht, ähnlich uns früher, das wird uns fremd sein und uns beiseite schieben. Wir sind überflüssig für uns selbst, wir werden wachsen, einige werden sich anpassen, andere sich fügen, und viele werden ratlos sein; – die Jahre werden zerrinnen, und schließlich werden wir zugrunde gehen.
    Aber vielleicht ist auch alles dieses, was ich denke, nur Schwermut und Bestürzung, die fortstäubt, wenn ich wieder unter den Pappeln stehe und dem Rauschen ihrer Blätter lausche. Es kann nicht sein, daß es fort ist, das Weiche, das unser Blut unruhig machte, das Ungewisse, Bestürzende, Kommende, die tausend Gesichter der Zukunft, die Melodie aus Träumen und Büchern, das Rauschen und die Ahnung der Frauen, es kann nicht sein, daß es untergegangen ist in Trommelfeuer, Verzweiflung und Mannschaftsbordells.
    Die Bäume hier leuchten bunt und golden, die Beeren der Ebereschen stehen rot im Laub, Landstraßen laufen weiß auf den Horizont zu, und die Kantinen summen wie Bienenstöcke von Friedensgerüchten.
    Ich stehe auf.
    Ich bin sehr ruhig. Mögen die Monate und Jahre kommen, sie nehmen mir nichts mehr, sie können mir nichts mehr nehmen. Ich bin so allein und so ohne Erwartung, daß ich ihnen entgegensehen kann ohne Furcht. Das Leben, das mich durch diese Jahre trug, ist noch in meinen Händen und Augen. Ob ich es überwunden habe, weiß ich nicht. Aber solange es da ist, wird es sich seinen Weg suchen, mag dieses, das in mir »Ich« sagt, wollen oder nicht.
    *
    **
    Er fiel im Oktober 1918, an einem Tage, der so ruhig und still war an der ganzen Front, daß der Heeresbericht sich nur auf den Satz beschränkte, im Westen sei nichts Neues zu melden.
    Er war vornübergesunken und lag wie schlafend an der Erde. Als man ihn umdrehte, sah man, daß er sich nicht lange gequält haben konnte; – sein Gesicht hatte einen so gefaßten

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