Totgeschwiegen (Bellosguardo)
Prolog
Katharina liebte Rosen.
Noch ein paar vereinzelte Blüten rankten sich um die Inschrift des Grabsteines. Der Winter stand bevor und schon bald würde diese letzte Ruhestätte kalt und nackt wirken.
Nachdenklich betrachtet e Alexander den cremefarbenen Grabstein. Die Sonne schien an diesem letzten Septembertag noch warm auf seinen Rücken.
Wie lange es wohl dauern würde , bis der Stein seine Farbe verlieren und verwittern würde? Die umliegenden alten marmornen Grabsteine, auf dem Friedhof in der Nähe von Florenz, hatten schon fast alle eine schwarze Färbung angenommen. Einfacher wäre es gewesen, gleich einen schwarzen Grabstein zu nehmen. Aber das war nicht in Frage gekommen.
Alexander strich mit der Hand über den matten, kühlen Stein. Er ähnelte dem Stein, des Fußbodens, im Wohnzimmer des Hauses. Wie lange Katharina nach diesem Stein gesucht hatte. Sie waren in Carrara gewesen. Unzählige Steinhändler hatten sie besucht, bis sie endlich den perfekten Farbton gefunden hatten. Zur Auswahl des Grabsteines war er dann extra dort nochmal hingefahren. Er wusste, es konnte nur diese eine Art Stein sein. Alles andere wäre für seine geliebte Frau einfach nicht angemessen gewesen. Das war das letzte Geschenk, was er ihr hatte machen können. Und dabei hatte er ihr noch so viel geben wollen. Nicht nur materielle Dinge. Er hatte gedacht, ihm würde noch so viel Zeit bleiben, alles wieder gut zu machen.
Langsam griff er in die Hosentasche seiner Jeans und zog den Zettel heraus. Er war schon auf eine minimale Größe gefaltet. Er klappte den Brief auf und betrachtete seine geschriebenen Zeilen.
Mein geliebter Schatz,
Ich muss dir etwas sagen und ich hoffe , du bist mir nicht böse. Ich habe eine Frau kennengelernt. Ihr Name ist Isabelle, sie ist 40 Jahre alt und hat selbst zwei Kinder. Ich glaube, sie würde dir gefallen. Sie hat eine erfrischende fröhliche Art und mit ihr kann ich endlich wieder lachen. Sie erinnert mich an dich.
Ich hoffe, dass auch Anna und Maya sie mögen werden. Noch habe ich mich nicht getraut, es ihnen zu sagen.
S eitdem du fort bist, bin ich so wahnsinnig einsam gewesen. Wie ein Verrückter bin ich um die Welt geflogen, nur um nie stehenbleiben zu müssen. Ich dachte, wenn ich nur noch arbeite, würde mein Kummer einfach irgendwann verblassen. Aber das hat nicht funktioniert. Ich weiß genau, dass du nicht mit mir zufrieden bist. Ich war in den letzten Jahren ein miserabler Vater - nicht in der Lage, mich um unsere Töchter zu kümmern. Ja, ich weiß, da bin ich noch nie das Vorzeigemodell gewesen, aber früher hast du dich ja um alles gekümmert. Und du hast das immer so wunderbar gemacht. Ich glaube, ich habe dir das viel zu selten gesagt.
Du fehlst mir jeden Tag. Ich liebe dich für immer.
Alexander faltet e den Brief wieder zusammen und griff nach der kleinen Aluminiumbox, die versteckt an den Wurzeln des Rosenstrauchs, hinter dem Grabstein lag. Er öffnete die Box und tauschte seinen Brief, gegen den dort drin liegenden, aus.
Unschlüssig hielt er den leicht verwitterten alten Brief in der Hand. Zu genau wusste er, was drinstand. Seine Hand krallte sich um das Schriftstück und er zerknüllte es mit seinen Fingern. Das Papier war schon ganz weich und ließ sich mühelos zu einem kleinen grau- weißen Klumpen formen.
In seinem Hals saß wieder der Kloß, der ihn nun seit drei Jahren immer wieder begleitete und damit auch die Frage, die er wohl niemals beantwortet bekommen würde:
Warum?
1
Er sah sie mit seinen smaragdgrünen Augen an. Sein Blick war intensiv, fordernd. Er hatte die Eigenart , ihr immer direkt in die Augen zu sehen. Ein bisschen war es wie ein Spiel. Wer würde zuerst wegschauen? Dieses Spiel verlor sie immer.
Dieser Blick machte sie nervös, aber auch neugierig. Was dachte Domenik, wenn er sie so ansah?
War das seine Art, mit ihr zu flirten? Oder wollte er sie nur testen? Immerhin war sie einen Jahrgang unter ihm. In seinen Augen war sie vielleicht einfach nur ein kleines dummes Mädchen, mit dem er ein Spielchen treiben wollte.
Verlegen wich Anna seinem Blick aus und tat so, als ob sie dringend etwas in ihrer Schultasche suchen müsste.
Dabei spürte sie seinen Blick weiterhin. Er brannte förmlich auf ihrer Haut.
„Anna, kommst du?“ Lara kam mit ihrer wehenden blonden Lockenmähne aus dem Speisesaal und stupste sie etwas unsanft an. „Wir kommen noch zu spät zum Unterricht.“
Erleichtert und gleichzeitig ein wenig
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