Im Wettbüro des Teufels
Eichen-Allee. Dort ist auch das Anwesen der Sauerlichs.
An diesem Wochenende, nämlich
dem dritten Advent, wollten Klößchens Eltern nicht nur den Sohnemann zu Hause
haben. Tim — Freund, Budenkamerad und TKKG-Häuptling — war genauso willkommen.
Deshalb hatten die Jungs
gestern Abend im ,Adlernest’ der Internatsschule, gelegen südlich der
Großstadt, ihre Zahnbürsten eingepackt und sich dann auf die Bikes geschwungen.
40 Minuten Fahrt. Und Klößchen
war zu Hause. Ein tolles und luxuriöses Zuhause. Aber Klößchen hatte sich
meistens gelangweilt in der elterlichen Villa. Deshalb war er Internatsschüler
geworden.
Noch bis zum Denkmal...
Und nachher, dachte Tim,
treffen wir Gaby und Karl und...
Oskar, eben noch schwerpfotig,
schnellte plötzlich los wie ein Pfeil. Der Vierbeiner verschwand durch die
winterkahlen, gleichwohl dichten Büsche.
Dann hörte Tim das Gebell.
Wütendes Kläffen.
„Weg, du Mistköter!“, brüllte
eine Männerstimme.
„Hiiiiiilfe!“, schrillte eine
Frau. Aber die Stimme erstickte sofort — kaum dass das stumme ,e’ noch in der
Luft zitterte.
Tim preschte in die Grünanlage
hinein und — bremste scharf ab, wobei der Schnee stäubte und Eisklumpen
knirschten.
Die Vollbremsung war nötig.
Sonst hätte er Oskar und den Typ über den Haufen gerannt und wäre der Frau auf
den Rücken getreten.
Sie lag bäuchlings im vereisten
Laub, eine langhaarige Blondine. Der Crunchy-Typ hatte sie zu Boden geworfen.
Ein schwerer Springerstiefel wurde ihr auf den Rücken gestemmt. Das hielt die
Blondine nieder.
Crunchy hatte die Umhängetasche
gepackt. Aber der Riemen hing noch über der Schulter der Frau.
Oskar hatte begriffen, bellte
den Kerl an, sträubte das Nackenhaar, vergaß völlig, dass er eigentlich harmlos
ist, führte sich auf wie ein Kampfhund, der Blut schlecken will.
„Oskar, bei Fuß!“
Gabys Liebling zu gefährden —
das wäre für Tim das Letzte gewesen.
Der Crunchy-Typ war groß,
wuchtig, etwa 20. Er trug keine Mütze trotz der Kälte und hatte frostrote
Ohren. Am rechten hing als Schmuck ein Stück Stacheldraht. Lederjacke. Kleine
Augen in tiefen Höhlen. Und ein dreckiges Grinsen. Die linke Hälfte des
Schädels war kahl geschoren. Auf der rechten Hälfte spross die rotbraune Wolle
wie bei einem Edelzucht-Bergschaf.
Und Tim begriff: ein Half-Skin,
auch Half-Head genannt oder — und das hatte sich bei den Szene-Kids
durchgesetzt — Halby.
Die Halbys galten als Seuche.
Sie randalierten, tranken, machten Überfälle und Bandenkriege. Zur Zeit waren
sie hip, aber schneller als der Kahlschlag auf der Birne nachwachsen konnte,
würden sie out und vergessen sein — wie so vieles auf der Welt, das keinerlei
Wert hat.
Der Halby hatte die rechte Hand
unter die Jacke geschoben. Tim wusste, weshalb. Leider waren die Typen
bewaffnet.
„Nimm den Fuß von ihr runter!“,
sagte der TKKG-Häuptling ruhig. „Hilf ihr hoch! Entschuldige dich! Dann werden
wir sehen, ob sie verletzt ist. Und ob noch was auf dich zukommt.“
„Ach wirklich?“
Das Grinsen war jetzt dreckiger
als eine Dritt-Länder-Kloake.
„Nochmal sage ich’s nicht.“
„Hetzt du dann deinen Pinscher
auf mich?“
Tim glitt einen halben Schritt
vorwärts. Aber die Entfernung war noch zu groß für einen Karate-Tritt.
Oskar hatte sich etwas beruhigt
und war zurückgewichen neben Tim.
Der Halby wusste Bescheid. Noch
dichter durfte er Tim nicht an sich ranlassen. Die Hand kam unter der Jacke
hervor. Und die Mündung einer schweren Pistole zielte auf Tim.
Auf dem Feistgesicht breitete
sich das Grinsen aus wie Öl auf dem Wasser.
„Na, und nun, Großmaul? Sag deinem
Köter, dass er nicht so die Zähne zeigen soll. Sonst schieße ich ihn tot. Und
die zweite Kugel ist für dich.“
Tim fasste Oskar am Halsband.
Festhalten war sicherer als sich auf Oskars Gehorsam zu verlassen.
„Du wirst nicht schießen“,
sagte Tim. „Nicht mal einer wie du ist so blöd. Für Mord gibt’s
lebenslänglich.“
„Mord? Spinnst du? Hast was am
Kleinhirn, wie? Ich ballere deinen Köter um, weil ich mich von dieser Bestie
bedroht fühle. Und du kriegst eine Kugel ins Bein. Dann bin ich weg, und kein
Bulle wird mich erwischen. Kapiert?“
Tim starrte ihn an. Dir begegne
ich noch mal, hieß dieser Blick. Und dann weiß ich, dass du bewaffnet bist.
Der Halby schob Argwohn und
spähte in den Park. Aber dort stand nur das alte Kaiserdenkmal in der
Vormittagsluft. Kein Mensch zeigte sich.
„Du bleibst, wo du
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