Im Wettbüro des Teufels
Garage. Klößchens Eltern — Hermann
und Erna — waren also in die Stadt gefahren, wie vorgesehen. Klößchen, der
wegen Vollschlankheit vom Joggen nichts hält, plantschte im villen-eigenen
Hallenbad, das mit südsee-blauem Marmor ausgekachelt ist. Klößchen trug
rot-weiße Schwimmshorts und eine Plastik-Wäscheklammer auf der Nase.
Weil — wie er Tim erklärt hatte
— ihm sonst beim Kraulen, das er gerade übte, zuviel Feuchtigkeit ins Gehirn
dringe.
Er staunte, als Tim die Irene
mitbrachte, und half, ihre Schrammen zu verarzten.
„Bist du gegen Tetanus
geimpft?“, fragte Tim.
Irene schüttelte den Kopf.
„Das muss aber sein. Hol’s nach
bei deinem Arzt.“
„Wir sind alle gegen Tetanus
geimpft“, erklärte Klößchen. Er hatte sich in seinen Bademantel gehüllt. Stand
aber mit klatschnassen Füßen in der Eingangsdiele. „Tim, Gaby, Karl und ich.
Ist allemal sicherer als dem bakteriellen Zufall die Tür zu öffnen. Dem Halby
wünsche ich natürlich, dass er nicht geimpft ist. Und der ist es garantiert
nicht.“
„Wenn du zur Polizei gehst“,
sagte Tim zu Irene, „wende dich am besten gleich an Gabys Vater. Kommissar
Glockner ist absolut die richtige Adresse.“
Irene versprach das.
Dann bereitete ihr die
Aufregung ein Nachspiel. Der jungen Frau wurde flau im Magen und in den Knien.
„Dagegen hilft Cognac!“, rief
Klößchen und stürmte in den creme-farbenen Salon, wo eine Schiebetür ins
Kaminzimmer führt. Dort war die Hausbar. „Jedenfalls sagt mein Papa das immer.
Und er haut sich dann — aber nur gelegentlich — einen Doppelten hinter den
Kragenknopf. Augenblick, Irene!“
Tim stützte sie. Beide gingen
hinterher. Im creme-farbenen Salon bestaunte Irene die kostbare Einrichtung.
Platz nehmen im Clubsessel!
Nebenan brüllte Klößchen:
„Bevorzugst du einen bestimmten Cognac? Oder darfs auch ein Wodka sein? Ich
kenne mich da nicht aus. Wir trinken ja nichts Alkoholisches.“
„Ist ganz egal“, erklärte sie
matt.
„Wie?“
„Ist ganz egal!“, schrie Tim.
„Himmel, beeil dich! Es geht nicht um Verkostung, sondern um einen Notfall.
Irene ist schon ganz käsig im Gesicht.“
Klößchen kam. Er brachte ein
Rotweinglas mit einem Viertelliter stark duftenden Inhalts. Der erwies sich als
Birnenlikör.
Irene nippte daran.
Jetzt wird ihr wirklich übel,
dachte Tim.
5. Dying-Game-Club
Egon Voigt hatte seinen Kaffe
ausgetrunken und fühlte sich erfrischt. Oder hatte Leo Fressners letzte
Bemerkung die Wachheit befeuert?
Der Mann mit dem
Viereck-Schädel bemerkte Egons Reaktion und nickte nachdrücklich.
„Ja“, wiederholte er, „meine Zocker
wetten auf den Tod.“
„Wie darf ich das verstehen?“
„Die Wette gilt dem Ableben.
Dem Tod! Es geht darum: Wann wird dieser oder jener Mensch sterben?“
„Hört sich schrecklich an.“
„Wir müssen alle mal sterben.“
„Aber man denkt doch: Das
betrifft nur die anderen. Und man selbst lebe ewig. Jeder Normalo hat das im...
Gefühl. Sowas hilft hinweg über Stress und Frust, über Gehaltskürzungen, einen
versauten Urlaub, Liebeskummer, unheilbare Hühneraugen und die dunklen Tage im
November. Das Leben währt ewig. Jawohl! Wie wetten ihre Kunden?“
Fressner grinste. Über seiner
Tasse rieb er sich die Hände. Er sah stolz aus wie jemand, dessen ureigene
Erfindung nun vorgestellt wird zum Nutzen aller.
„Zunächst mal sollten wir das
blöde ,Sie’ weglassen. Einverstanden? Also, Egon, ich bin Leo.“
Sie reichten sich die Hände und
Fressner fuhr fort: „Wir leben hier in einer Millionenstadt. Richtig? Dank des
medizinischen Fortschritts werden die Menschen immer älter. Richtig? Aber
irgendwann muss, wie gesagt, jeder mal abtreten. Auch richtig! Daraus mache ich
was, habe ich mir gesagt. Und die Überlegung geht so: In unserer Millionenstadt
gibt es viele, viele Senioren. Nehmen wir mal alle über 70. Es gibt auch einige
Hundertjährige. Aber meine Wettobjekte liegen in der Altersgruppe zwischen 70
und 95. Hauptsächlich jedenfalls.“
„Ich verstehe noch nicht.“
„Ich besorge mir Listen, Egon,
mit den Namen aller unserer Senioren. Name und Geburtsdatum. Diese Listen hegen
bei mir aus. Natürlich hänge ich das nicht an die große Glocke, denn mein
,Dying Game’, mein ,Spiel ums Sterben’ ist keine moralische Angelegenheit. Aber
das kratzt mich nicht. Jeder Wetter kann nun also eine Wette abschließen auf
das Ableben dieser Leute.“
Egon fröstelte. „Der Wetter
wählt also die Person X aus und
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