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Im Zeichen der blauen Flamme

Titel: Im Zeichen der blauen Flamme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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die Verletzungen gereinigt, die Schmerzen gelindert. Sein Kopf, seine Glieder waren schwer, und die Lider fielen ihm immer wieder über die Augen. Er glitt in den Schlaf wie in dunkle, tiefe Gewässer …
    Als er erwachte, war der Dunst verflogen. Der Himmel war blank und durchsichtig blau. Die sinkende Sonne hob jede Bewegung des Schilfs und der hohen Gräser in sanftem Gold hervor. Susanoo lockerte die steifen Muskeln und richtete sich auf. Er stapfte an den Fluss, beugte sich über eine seichte Stelle und trank in langen Zügen. Das Haar fiel ihm ins Gesicht und er blickte verwundert auf die grauen Strähnen vor seinen Augen. Er schüttelte leicht den Kopf, band das Haar wieder im Nacken zusammen. Jetzt begann er, die Schmerzen seiner unzähligen Wunden zu spüren. Seine Haut war trocken und gespannt, das Fieber pochte in seinen Schläfen. Doch er durfte keine Zeit verlieren. Er vermutete, dass Iri mit seinem Heer bereits nach Tatsuda aufgebrochen war. Es würde schwierig sein, in die Festung einzudringen. Aber er musste das Wagnis eingehen.
    Er watete in den Fluss und achtete darauf, dass sein Schatten nicht auf die Steine fiel. Als sich ein Fisch in seiner Nähe bewegte, tauchte er blitzschnell beide Hände ins Wasser und packte ihn. Er sammelte trockenes Reisig und zündete ein Feuer an. Dann spießte er den Fisch auf einen Zweig und hielt ihn über die Glut. Die Nahrung brachte ihn wieder zu Kräften. Er nahm an, dass er die Festung noch vor Tagesanbruch erreichen konnte. Mit seinem Kurzschwert schälte er weiche Baumrinde ab, wickelte sie um seine wunden Füße. Dann band er das Hanfseil enger um seine Taille und machte sich auf den Weg.
    Das Schilf reichte ihm bis zu den Schultern. Im Spätsommer, wenn die Halme ihre volle Höhe erreicht hatten, bildeten sie ein undurchdringliches Dickicht. Der leichte Wind rief ein vertrautes, knisterndes Geräusch hervor. Manchmal blieb Susanoo stehen, wischte sich den Staub und den Schweiß aus den Augen und lauschte. Er musste auf der Hut sein. Zwar kannte er die Tricks der Ainu und würde jeden feindlichen Späher mit Leichtigkeit überlisten, doch wollte er kein unnötiges Risiko eingehen.
    Für kurze Zeit schwebte die Sonne wie ein glühender Spiegel über dem Horizont und zog im Schilf eine glutrote Bahn. Dann huschten Fledermäuse durch das Zwielicht. Die Nacht brach herein und die Sterne schwärmten aus wie Myriaden von Glühkäfern. Sie waren schon über einen großen Teil des Himmels gewandert, als Susanoo vor sich in der Dunkelheit die mächtigen Umrisse der Burgmauern sah. Er ging vorsichtig weiter. Bald sah er die Festung deutlicher. Im Fackellicht, das zwischen den Zinnen schimmerte, bewegten sich die Schatten der auf und ab marschierenden Wachen.
    Susanoo blieb stehen: Er hatte den Wallgraben erreicht. Sein Blick schweifte über die Brücke, die das Wasser überspannte. Die eisenbewehrten Torflügel waren geschlossen, das Fallgitter heruntergelassen. Susanoo schnalzte mit der Zunge. Er glitt die Böschung hinab, füllte seine Lungen mit Luft und tauchte. Das finstere Wasser war eiskalt. Er erinnerte sich, dass die Soldaten den Graben »den Bodenlosen« nannten. Mit leisem Aufplätschern kam er auf der anderen Seite wieder an die Oberfläche; seine tastenden Hände fanden Steine, an denen er sich hochzog. Über ihm wölbte sich der gigantische Mauersockel. Ein eigenartiges Gefühl erfasste Susanoo. Immer wenn er glaubte, sie losgeworden zu sein, kehrte sie wieder zurück, diese innere Erregung, die ihn jedes Mal dann überkam, wenn er mit der Gefahr spielte. Und er wusste, dass in der Festung eine Frau auf ihn wartete …
    Er knotete das nasse Hanfseil auf, ließ den stoffumwickelten Greifhaken kreisen und warf ihn geschickt in die Höhe. Er hatte Glück: Schon beim ersten Versuch blieb der Haken am Steinsims des untersten Stockwerkes hängen. Susanoo prüfte rasch die Festigkeit des Seiles, dann zog er sich daran hoch, wobei er sich mit den Füßen an der Mauer abstieß. Er erreichte den Steinvorsprung und presste sich gegen die Wand, als der Wachtposten über ihm vorbeischritt. Dann beugte er sich vor. Noch ein geschickter Wurf; ein kurzer Aufstieg. Jetzt befand er sich unter den Zinnen. Er krallte sich an den Steinen fest und wartete, bis der Wachtposten wieder vorbei war. Die Wand lag im Schatten; der Himmel hatte sich

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