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Im Zeichen der blauen Flamme

Titel: Im Zeichen der blauen Flamme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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Dämmerung drehten die Boten des Himmels schwerelos ihre Runden. Entkörperte Silhouetten, wie Filigran in die Röte der Nacht gezeichnet, glitten an der Oberfläche einer Feuerbahn dahin, zogen hintereinander her, schwangen sich empor, stiegen höher, flogen dahin mit einer Leichtigkeit und Anmut, wie kein anderer Vogel es ihnen gleichtun konnte. Ihr Flug war ein von glühendem Licht durchstrahlter, traumhafter geheiligter Tanz.
    In der Nacht drehte sich der Wind; der Rauch teilte sich und Teile des dunklen Himmels wurden sichtbar. Die Sterne funkelten tief über dem Gipfel, und Susanoo sah den Nordstern, hell wie eine Fackel. Ihm war, als ob der Himmel kreiste, ihn anzog wie ein Magnet. Er fiel in den schwarzen Abgrund des Alls, drehte sich immer schneller um sich selbst und glitt in einer Spirale den Sternbildern entgegen …
    Dann bemerkte er an einer Erschütterung, dass er geträumt hatte und immer noch am Felshang kauerte. Gegen Morgen verdichtete sich die Rauchsäule, wehte ihm seinen fauligen Atem ins Gesicht. Die Sterne verblassten. Mühsam richtete er sich auf; ging schwankend auf das Gerüst zu und blickte hinein. Er taumelte zurück, würgte und fiel auf die Knie. Im Osten, wo gleich die Sonne aufgehen würde, schimmerte ein glühend roter Streifen. Dann fegte ein Windstoß über den Hang; die riesige Sonnenkugel schien aus dem Krater hervorzuschweben.
    Susanoo schmiegte sich an die warmen Steine, fühlte, wie er mit dem Felsen verwuchs. Der Puls des Berges wurde sein Pulsschlag, das Herz des Berges war sein eigenes Herz, der Atem des Berges drang aus seinen Lungen. »Wach auf! Geh fort von hier!« Er hörte die Stimme wie im Traum. Sie hallte in seinem Kopf wider, bohrte sich in sein Bewusstsein. »Steh auf! Worauf wartest du noch?« Unter größter Anstrengung schlug er die Augen auf. Das Sonnenlicht ringsum war rot und gelb und grell. Ein Gesicht, eine Gestalt löste sich aus dem flackernden Leuchten. Erschüttert und ungläubig erkannte er Kubichi. Sie trug eine blauviolette knielange Hose und ein ledernes Mieder wie an jenem Tag, da er sie zum ersten Mal gesehen hatte. Der sichelförmige Schmuck glänzte um ihren Hals. Ihre Lider schillerten wie Schmetterlingsflügel; ihr Antlitz war golden, heiter und glücklich. Sie beugte sich über ihn, ihre Lippen streiften die seinen. Als er sie umschlingen wollte, entwand sie sich ihm, immer noch zauberhaft lächelnd, und winkte ihm, ihr zu folgen. Er versuchte, sich aufzurichten; ihm war, als sei er am Boden festgeschweißt. Sie sagte etwas, das er nicht hören konnte. Jetzt sprach sie ganz langsam, wie um ihm Zeit zu lassen, ihr die Worte von den Lippen abzulesen: »Geh und hole unser Kind!« Da nahm er seine ganze Kraft zusammen, kämpfte gegen das ungeheure Gewicht an, das seinen Körper lähmte wie der Wasserdruck in der Tiefe des Meeres. Allmählich fühlte er, wie er sich von dem Felsen löste. Er kam auf die Beine, schlug hin, stand wieder auf. Grimmig verscheuchte er die Schatten, die sich zwischen ihn und Kubichi drängten. Sie rührte sich nicht, aber ihr Lächeln erlosch, und plötzlich streckte sie warnend den Arm aus. Er wandte den Kopf, sah die riesige Flamme, die aus dem Krater schoss. Schlagartig kam er zur Besinnung, hörte das Zischen und Brodeln der Lava. Die Schwefelgase mussten ihn in jenen todesähnlichen Betäubungszustand versetzt haben, aus dem Kubichi ihn gerettet hatte. Seine Augen drehten sich dorthin, wo sie eben gestanden hatte; er sah nichts als roten, nackten Felsen.
    Da packte er sein Kurzschwert, warf einen letzten Blick auf das Weidengerüst, wandte sich ab und rannte den Hang hinunter. Da! Ein scharfes Zischen, ein donnerndes Getöse. Der Himmel leuchtete wie Karmesin, die Erde, die Steine, die Bäume lohten in roter Glut auf.
    Ein Chaos aus Feuer, Wasser und Gestein sauste pfeilgerade in die Luft, fiel fächerförmig nach allen Seiten. Lava floss in Sturzbächen über den Kraterrand. Halb erstickt, von Hustenkrämpfen geschüttelt, wickelte Susanoo sich im Laufen einen Stofffetzen um Mund und Nase. Hier und da, wenn der Rauch zur Seite abzog, konnte er wieder Atem schöpfen. Plötzlich wehte eine Gasflamme durch die Luft und steckte unterhalb des Felsengürtels die Sträucher in Brand. Die Flammen züngelten durch Laub und Unterholz und loderten gelb empor. Dann vertiefte sich ihre Farbe

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