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Im Zeichen der blauen Flamme

Titel: Im Zeichen der blauen Flamme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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Schwefeldämpfe verbreiteten stinkende, quälende Hitze. Plötzlich glitt ein Schatten über Susanoo hinweg, und als er den Kopf hob, sah er die Geier, die sich gesammelt hatten und tief über den Berg segelten. Er fühlte, wie seine Knie weich wurden, wie ihm der Schweiß aus allen Poren brach. Doch da ertönte tief in ihm eine Stimme, vermischt mit dem Rauschen seines Blutes: »Verzage nicht und tu, was du versprochen hast. Es hat nichts zu bedeuten! «
    Sein Geist klärte sich. Er senkte den Blick auf die Tote in seinen Armen. Er wusste jetzt, dass sie nicht Kubichi war, sondern nur ein Körper unter einem Umhang. Ein Gefühl von Frieden verdrängte die Angst, die ihn überfallen hatte. Und während er weiterging, spürte er immer deutlicher unter seinen Füßen das Pochen und Grollen des erwachenden Vulkans.
    Bald sah er vor sich die Gerüste aus Holz und Weidengeflecht, auf denen die Ainu ihre Toten aufbahrten. Sie waren über den Hang verstreut bis zu dem rauchverhüllten Kraterschlund. Alle hatten dieselbe Form, die zugleich an eine Bahre und einen Nachen erinnerte.
    Die Priesterin war vor einem leeren Gerüst stehen geblieben und wartete auf ihn. Sie sah, wie er unwillkürlich zurückwich und die Tote fester an sich presste. Sie blieb stumm; blickte ihn an aus starren, dunkel schimmernden Augen. Und unter dem Zwang dieses Blickes trat er an das Gerüst und bettete Kubichi, von Kopf bis Fuß verhüllt, auf das Weidengeflecht.
    Emekka nickte und streifte leicht seinen Arm. »Gut. Und jetzt komm.« Sie führte ihn zu einem Felsen, der unweit von dem Gerüst aus dem Boden ragte. »Warte hier, bis die Boten des Himmels ihr Werk vollbracht haben. Es wird nicht lange dauern.«
    Susanoo starrte sie stumpf an.
    Sie fuhr fort: »Fürchte nichts. Sie ist glücklich: Du hast ihrer Seele zur ewigen Freiheit verholfen. Sie ist die Letzte der Aiu-Utari, der es vergönnt ist, ihre Himmlische Heimat zu erreichen.« Ihre Lider bebten wie die verblichenen Flügel eines Nachtfalters. »Doch gib acht! Sobald du spürst, dass du eins mit dem Felsen wirst, musst du fliehen. Deine Zeit ist noch nicht gekommen. Du musst weiterleben … für deine Tochter.«
    Er fuhr zusammen. Von weit her kehrte das Bewusstsein in seine Augen zurück. »Woher weißt du, dass ich eine Tochter habe?«
    Â»Ich weiß es«, antwortete sie gleichmütig.
    Er versuchte, seine Aufmerksamkeit auf sie zu konzentrieren. »Und du, Mutter? Was wird aus dir?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Mein Schicksal ist unbedeutend.«
    Er fühlte ihre Hand auf seiner Stirn und schloss erschöpft die Augen. Die runzelige Hand war kühl und weich und er sehnte sich nach ihrer Berührung wie nach der Frische von Quellwasser.
    Leise sprach sie: »Die Wolken wandern … die Flüsse fließen … die Berge wachsen … der Geist lebt.«
    Der kühle Schatten wich von seinen Augen. Als er die Lider aufschlug, war die Priesterin verschwunden. Da setzte er sich mit dem Rücken an den Felsen, legte das Kurzschwert vor sich hin und wartete. Etwas später kamen die Geier. Sie flogen mit starken Schlägen und begannen, in immer engeren Kreisen abwärtszusegeln. Er beobachtete, wie ihre Flügel die Luft peitschten, während sie über dem Gerüst schwebten und dann mit ausgestreckten Krallen flatternd landeten. Die Krallen bohrten sich in sein Herz.

27
    S usanoo starrte auf die Schatten, die langsam länger und schmaler wurden. Die Müdigkeit machte ihn unempfindlich gegen Schmerzen, Hunger und Durst. Sein langes Haar, seine brennenden Augen und das Flimmern der Dunstschleier ließen ihn alles verschwommen sehen. Der Himmel war ungeheuer weit weg; ein rosa Feuer in den Wolken wurde von einer Spiegelung hochgerissen und schwamm in einem schwefelgelben Tümpel. Die Erde wurde heiß und manchmal bebte sie. Er spürte unter sich ein Klopfen und Knirschen und hier und da ein Grollen wie ferner Donner. Als es Abend wurde, stoben Irrlichter aus der offenen Wunde des Kraters. Die Geier hockten auf den Steinen und putzten ihr Gefieder. Dann flogen sie auf, kreisten, bis sie eine Säule warmer, aufsteigender Luft gefunden hatten, und stiegen empor.
    Er fuhr mit der Zunge über seine trockenen Lippen. Die Schmerzen in ihm waren nicht heftig, doch tief und beharrlich. Purpurne Dämpfe umflossen die sinkende Sonne. In der stickigen

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