Im Zeichen des Adlers
einer Welt?« fragte Makootemane. Er ließ den Blick schweifen und fand doch überall nur seinen ersten Eindruck bestätigt: Nichts lebte hier - nichts und niemand .
»War es nicht das, was du wolltest - Ruhe und Frieden bis in alle Ewigkeit?« entgegnete der Schwarze.
»Aber ich hatte gehofft«, setzte der Arapaho an und zögerte kurz, ehe er fortfuhr: »Nun, ich wollte eins sein mit meinen Ahnen -«
Der andere lachte freudlos. Der Laut ähnelte eher einem heiseren Husten.
»Wie vermessen«, meinte er dann. »Du solltest froh sein, daß du hier sein darfst. Anderen deiner Art wird solches Glück nicht zuteil -«
Makootemane nickte lahm. »Ich weiß, wovon du sprichst«, sagte er. Sein Ton klang betroffen, seine Stimme belegt. »Habe ich dir die-ses Glück zu verdanken?« fragte er nach einer Weile.
»In gewisser Weise«, nickte der Fremde.
»Wirst du mich führen durch diese - durch meine Welt?« Es war im Grunde keine Frage, die Makootemane stellte, sondern eine Bitte.
»Nein, das werde ich nicht. Aber es gibt einen, der es tun könnte.«
»Wo finde ich ihn?« fragte Makootemane rasch.
»Er wird dich finden«, erklärte der andere, »wenn du ihn nur rufst.«
Der Arapaho wagte einen letzten Versuch: »Warum hilfst du mir nicht? Verbindet uns nicht ein gemeinsames Schicksal?«
»Gewiß nicht.«
Damit wandte der Nackte sich ab und ging. Scheinbar ziellos entfernte er sich, aber Makootemane konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, als folge der andere einem Pfad, den nur er allein zu sehen vermochte.
»Wer bist du?« rief Makootemane ihm nach, als der Schwarze kaum mehr zu sehen war, obgleich er doch erst wenig mehr als zwanzig, allerhöchstens dreißig Schritte gegangen war.
Seine Antwort erreichte den Arapaho wie aus weiter Ferne.
»Ich bin .«
Als seine Worte verklangen, war der andere vollends verschwunden, als habe er sich in Nichts aufgelöst.
» ... niemandes Freund.«
*
Einige Zeit später Mandschurei, China
Die Züge des Mannes zuckten unentwegt, als bewege sich darunter etwas Lebendes, das nicht hervorbrechen durfte. Auf seiner Stirn glänzte Schweiß, vom Licht des vollen Mondes silbern gefärbt. Und in seinen Augen stand ein unstetes Flackern wie von mühsam bezwungener Angst.
Chiyoda kannte die Ursache dieser Symptome, und er schüttelte tadelnd den Kopf.
»Du bist noch nicht bereit«, erklärte er mit leiser Stimme, bestimmt und sanft in einem.
»Ich kann nicht länger warten, Meister«, erwiderte der andere gepreßt. Sichtlich angestrengt widerstand er der Versuchung, zum bleichen Rund des Mondes aufzusehen, das wie in den Nachthimmel über dem Kloster gestanzt wirkte.
Chiyoda konnte die Versuchung seines Gegenübers selbst spüren, fast noch mehr als seine eigene. Denn während die Bestie im Innern des anderen in ihrem imaginären Kerker schier tobte, um daraus zu fliehen und sich des ganzen Körpers zu bemächtigen, strich das Tier in Chiyoda nurmehr am Gitter seines Käfigs entlang; gereizt, sicher, aber im Laufe vieler Jahre solchermaßen bezähmt, daß es seinen animalischen Trieb dem Willen seines Herrn unterordnete.
Diese Kunst lehrte Chiyoda jeden, der zu ihm in das abgelegene Kloster im nordostchinesischen Tiefland kam und wünschte, den Fluch zu bezwingen. Aber nur wenigen gelang es, dem alten Chinesen nachzueifern. Denn das Wollen allein genügte längst nicht; weit größerer Opfer und Anstrengungen bedurfte es, den Wolf zu bändigen.
Der Mann, der Chiyoda vor einigen Wochen um Hilfe ersucht hatte und nun im Begriff stand, das Kloster zu verlassen, zählte zu jenen Wenigen. Der weise Alte spürte, daß dieser Mann das Zeug dazu hatte, dem Fluch des Blutes dauerhaft zu entgehen. Er war auf dem besten Wege gewesen - aber nun offenbar nicht bereit, diesen Weg auch bis zum Ende zu gehen .
Die Muskeln des anderen verkrampften sich, seine Miene entgleiste vor Schmerz, als ein neuer Schub ihn ereilte. Sein Körper wollte mutieren - aber er ließ es nicht geschehen, verweigerte der Bestie die Herrschaft. Seine Züge entspannten sich, wenn auch nur ein wenig, als er sich in jene Meditation versetzte, die Chiyoda ihm beigebracht hatte in langen Tagen und Nächten.
Der alte Werwolf ließ ihn gewähren.
Als er den Wolf in sich soweit zurückgezwungen hatte, daß er nicht hervorbrechen konnte, sagte der Mann: »Es tut mir leid, aber -«
Wieder schüttelte Chiyoda den Kopf.
»Du mußt dich nicht entschuldigen«, entgegnete er, leises Bedauern im Ton, »allenfalls vor dir
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