Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Zeichen des großen Bären

Im Zeichen des großen Bären

Titel: Im Zeichen des großen Bären Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
Vom Netzwerk:
zugegangen sein. Vor den Kolossen gab es für den Infanteristen keine Rettung. Sie walzten alles nieder, seelenlose Kampfmaschinen, drehten sich wie Kreisel über Bodenlöchern, in denen Soldaten Schutz suchten, bis dort nur ein Brei zurückblieb. Wie ferngelenkte Saurier traten sie gegeneinander an. Und doch saßen in jeder dieser Vernichtungsmaschinen lebende Menschen, sicher auch voller Angst und Wut und in der unbändigen Hoffnung zu überleben. William Rockwell schauderte zusammen. Wenn so ein Panzer wirklich getroffen wurde, hatten Kameraden ihm berichtet, so wurden die Insassen regelrecht geröstet in ihrem Gefährt, braun und knusprig seien sie gewesen, hatten sie im harten Kriegsjargon erklärt, der ihnen helfen mußte, mit den Schrecken fertig zu werden.
    In der Ferne, wo die Erde sich an den Himmel schmiegte und Dunst und Regen ein friedlich-sanftes Bild vorgaukelten, mußte Arras liegen. Dahinter Calais, das Meer, dann England: Dover, Plymouth … William Rockwells Sehnsucht entführte ihn in Windeseile nach Kanada. Er sah die weiten Weizenfelder vor sich, endlos, goldgelb, gleißende Meere, die sich im Wind wiegten. Und schnurgerade Straßen durchteilten die Wogen; übersichtlich und ordentlich und wundervoll beruhigend war dieses Land, so klar und weit, mit dem Singen des Windes und dem Summen der Insekten darüber. Zum Horizont hin ging es dann lieblich über in riesige, flache Wälder mit verwunschenen Seen darin. Der Wald war sommers silbergrau und dunkelgrün mit einem Stich ins Fliederfarbene, niemals einfach Blattgrün. Und im Herbst setzte er flammendes Purpur an, die unbeschreibliche Farbenpracht des Ahorns dominierte. Nie hatte William anderswo solche Farben gesehen.
    Sonntags fuhr man manchmal mit Rädern oder dem Fuhrwerk an einen See zum Angeln. Die Frauen richteten die Picknicksachen. Er dachte an Jenny. Jenny, anmutig auf einer Decke am Ufer kauernd, in ihrem hellgrauen Jackenkleid, unter dem die schlanken Fesseln und die kleinen Füße in den schwarzen Lackschuhen hervorguckten. Es hatte ein Schößchen über den Hüften gehabt, das betonte noch die schmale Taille. Den Dachs für den kleinen Pelzkragen hatte er selbst geschossen. Jenny hatte ihr Hütchen mit der drolligen Feder abgesetzt. Ihr Haar war braun. Sie trug es locker auf dem Hinterkopf aufgesteckt. Es glänzte in der Sonne wie reife Kastanien.
    William Rockwell stöhnte leise. Er hatte sie geküßt und die Hand auf ihre kleine feste Brust gelegt. Dann hatte Jim vom Ufer her gebrüllt: »Dad, ich hab' einen dran!«, und er war zu seinem Sohn geeilt und hatte ihm geholfen, die Angel einzuholen.
    Seine Frau und sein Sohn. Er hatte sie jetzt gute zwei Jahre nicht mehr gesehen. Jenny mit der winzigen Nase. Alles an ihr war zierlich, die Stimme ganz hell wie die eines Kindes. Aber Mrs. Rockwell wußte durchaus, was sie wollte. Viel Energie und Lebensmut steckten in der kleinen Person. »Sorge dich nicht, liebster William, wir kommen gut zurecht«, hatte sie in ihrem letzten Brief geschrieben. »Ich helfe bei Mr. Dobbs im Laden. Lucille spielt dann am liebsten mit einer Rolle Band oder ihrer Puppe Millie. Sie ist rund und gesund und schickt ihrem Daddy einen dicken Kuß. Jim läßt dich von Herzen grüßen. Ein elfjähriger Bengel küßt natürlich niemanden mehr – oder noch nicht wieder. Bleib heil und gesund. Wir beten für dich. Kehre zurück zu Deiner Jenny, die auf dich wartet!«
    William seufzte. Ja, sie wartete. Er hatte eine gute Frau, und er glaubte an ihre Treue. Es gab Kameraden, die waren viel schlechter dran. Natürlich bildete man sich auch vieles ein, wenn man weit weg und so ganz und gar unmenschlich leben mußte, aber manche hatten auch Grund zu ihren Ängsten. Der Krieg brachte nicht nur Verwundung und Tod mit sich, sondern auch Verletzungen der Seele, die nicht heilen wollten.
    Jenny, dachte William Rockwell, Jenny, was tue ich hier?! Was um Himmels willen tue ich hier?! Ich bin Soldat, aber dies ist ein Krieg zwischen Europäern, im Südosten ihres Kontinents entstanden, längst hierher verlagert, was hat ein kanadischer Soldat damit zu tun?!
    Er wußte aber auch, daß es töricht war aufzubegehren. Frankreich trug die Hauptlast. Es war Schauplatz der Verwüstung. Doch auch Britannien trat dem Größenwahnsinn der Deutschen entschlossen bis zum Letzten entgegen. Da war es für das Dominion Kanada selbstverständlich, zu Ehren des Mutterlandes und Seiner Britischen Majestät Georg V. einzusteigen in die

Weitere Kostenlose Bücher