Im Zeichen des großen Bären
Ontario. Auf dem kleinen Friedhof von Port Hope, während die Glocke der kleinen Kirche eintönig läutete, senkten sich die Fahnen.
Lucille schluchzte. Jenny und Jim standen steif und ernst, mit trockenen Augen, nebeneinander. Der Pfarrer erhob die Stimme: »Zwar bist du groß, Mensch, aber klein vor Gott. Du wanderst mit im ewigen Zuge der Natur, von diesem Leben in ein anderes Leben, das wir Sterblichen nur erfassen können durch unseren Glauben.«
General Powell trat vor und sprach: »William Rockwell, deine Seele war immer für Wunder offen. Du hast auch im niedrigsten Geschöpf die Größe der Schöpfung erkennen können. So aufrichtig und treu, wie du dein Leben lang warst, werden wir über den Tod hinaus zu dir stehen. Leb wohl, alter Kamerad!«
An dem riesigen Kranz des 159. Infanterieregiments, den zwei Mann tragen mußten, war auch ein kleines, vergilbtes Foto befestigt: Soldaten in strammer Haltung; sie waren mager, zeigten lachende Gesichter und hatten in ihrer Mitte einen Bären, der einen flachen Stahlhelm trug.
Powell machte sein Versprechen wahr. Die Parade am zwanzigsten Jahrestag von Compiègne wurde ganz groß aufgezogen. General Powell stand auf der Tribüne, die bis zum letzten Platz besetzt war mit Veteranen und ihren Angehörigen. Die geputzten und gewienerten Uniformen der Soldaten glänzten in der Sonne. Die Kapelle spielte zackig den Kitchener-Marsch. Die Fahnen knatterten. Alles wirkte bunt und heiter. Nichts wies darauf hin, daß es da die dunkle Seite gab aus Krieg und Abschied und Sterben.
Im kleineren Kreis aber ging später das Hauptereignis dieses 11. November 1938 in Szene.
Auf dem Kasernenhof fand es statt. Da waren die Veteranen noch einmal angetreten, manche schon ein wenig dick um die Taille, ein bißchen runzlig, nicht mehr ganz gerade, weil die Knochen nicht mehr so wollten und Rheumatismus in den Muskeln saß.
An der offenen Seite des Karrees standen Stühle für die Damen. Hier hatte auch Jenny Rockwell Platz genommen, sehr blaß in ihrem schwarzen Mantel. Sie hielt sich tapfer, wußte sie doch, was sich gehörte. Es war Aufgabe der Frauen, Haltung zu bewahren und zu schweigen, wenn die Männer die Welt irgendwo wieder einmal anzündeten.
Junge Soldaten schossen Salut. Trommeln wirbelten. Die Fahnen, die auf halbmast wehten, wurden hochgezogen. Sie flatterten im Wind.
General Powell stand klein und drahtig da und grüßte in die Ferne. Er grüßte in Gedanken sein geliebtes Land mit den Städten und Dörfern, den Seen und endlosen Feldern, den eisigen Wintern und den von Fruchtbarkeit berstenden Sommern. Er grüßte seine gefallenen Kameraden und dachte an William Rockwell und auch an den eigenen Tod, der hoffentlich noch lange nicht kommen würde.
»Männer!« rief er mit heller Stimme, und diesmal wuchs er um mindestens zwei Zentimeter. »Männer! Wir alle haben unser eigenes Leben, aber es gab eine Zeit, da lebten und überlebten wir gemeinsam, Schulter an Schulter. Diese Jahre waren so intensiv, daß sie uns für immer miteinander verbinden. Damals hatten wir noch einen Kameraden, und an den wollen wir heute denken. Es war ein Bär. Und wir tauften ihn Kitchener. Natürlich ist ein Tier ein Tier und kann und darf nicht als Mensch angesehen werden. Aber manchmal frage ich mich: War Kitchener wirklich nur ein einfacher Bär?«
Alle lachten.
Powell fuhr fort: »Und wenn er ein Tier war, dann doch zumindest ein ganz besonderes. Schließlich kann nicht jeder Bär ein Regimentsbär und Wappentier werden. Kitchener war treu, tapfer und schlau, das sind gute Eigenschaften für einen Soldaten. Und auch sonst, denke ich. Nun ist unser Maskottchen gestorben. Aber wir vergessen es nicht.«
Wieder wirbelten die Trommeln. Dabei wurde das weiße Tuch von einer großen Figur herabgezogen, und da stand also das nagelneue Denkmal auf dem Hof der Kaserne.
Ja, es war Kitchener, wie er leibte und lebte, auf den Hinterbeinen stehend, mit den Vorderpfoten winkend, mindestens zwei Zentner schwer und nunmehr ganz das, was er eigentlich schon zu Lebzeiten gewesen war: ein Symbol.
Powell sagte: »Wir haben alle noch einmal tief in die Tasche gegriffen, um diese Plastik in Auftrag geben zu können. Der Künstler heißt Jan Steen und ist ein Freund und Kollege von Jim Rockwell, dessen Vater, wie wir alle wissen, besonders eng mit Kitchener verbunden war. Er hat ihn entdeckt, geführt und später noch einmal in London besucht. So schließt sich nun der Kreis. Ein dreifaches Hurra für
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