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Im Zimmer wird es still

Im Zimmer wird es still

Titel: Im Zimmer wird es still Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Walther
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das merkt er, aber der Arzt muss Bescheid wissen.
    »Also, wir können es mit einer Morphiumpumpe versuchen. Sie wird direkt am Nerv angesetzt und Sie können die Dosis auch selbst regulieren«, er berührt Peter am Arm. »Ich denke, das wird die Situation verbessern.«
    Der Arzt schreibt etwas für den Pflegedienst auf, packt seine Tasche zusammen und verabschiedet sich von Peter: »Morgen komme ich wieder.«
    Er begleitet den Arzt nach draußen vor die Haustür.
    »Danke, dass Sie gekommen sind.«
    »Ich bin erstaunt, wie stabil sein Zustand ist.«
    »Wie lange noch?«
    Der Arzt blinzelt in die Sonne: »Das ist schwer zu sagen. Es hängt davon ab, wo noch Metastasen auftreten. Bei inneren Organen wird es kritisch. Ich hoffe, wir können die Schmerzen so lange wie möglich im Griff behalten.«
    Er fragt nicht weiter. Blickt über den Hof.
    »Aber vielleicht muss er irgendwann doch wieder ins Krankenhaus. Dort haben sie andere Behandlungsmöglichkeiten. Wenn zum Beispiel die Lunge befallen wird.«
    Er bekommt nur halb mit, dass der Arzt auf seine Uhr schaut, sich eilig verabschiedet.
    * * *
    Andreas lächelt, als er hereinkommt. Das Lächeln wirkt starr. Er streckt Andreas die Hand entgegen.
    »Willst du Tee?«
    »Nein.«
    Andreas kommt näher, nimmt seine Hand.
    »Alles klar?«
    »Mhm. Ich werd mal beim Standesamt anrufen«, Andreas beugt sich hinunter und küsst ihn, »wir sollten es nicht zu lange rauszögern.«
    Andreas geht zum Schrank und kramt nach dem Telefonbuch. Er sucht die Telefonnummer heraus und geht mit dem Telefon zum Tisch. Er hört, wie Andreas sich durchfragt. Schließt die Augen. Bilder ziehen an ihm vorbei. Wellen, die an die Mole schlagen, Andreas’ Silhouette vor dem Sonnenuntergang, eine Strandvilla im warmen Abendlicht. Andreas’ Stimme bleibt im Hintergrund.
    Andreas umarmt ihn, er spürt seinen Atem, seinen Mund. Dieser Kuss, der ihn verschlingt. Wärme der Berührung. Farben beginnen zu tanzen. Andreas’ Hand an seiner Wange. Zärtlichkeit.
    Andreas tritt neben das Bett: »Wir können gleich essen. Ich habe die Reste vom Hühnchen in den Ofen geschoben.«
    »Riecht gut«, er öffnet die Augen, blinzelt ins Licht. »Andreas, kannst du das Bett ein bisschen nach links verschieben?«
    Andreas nickt, fragt nicht, löst die Räder und schiebt das Bett ein kleines Stück in Richtung Fenster. Dann streicht er ihm über die Wange und geht wieder in die Küche. Er sieht, wie Andreas mit ruhigen Bewegungen Geschirr aus dem Hängeschrank nimmt, zum Tablett greift. Dann geht er zum Backofen, öffnet ihn, und ein Schwall des würzigen, knoblauchschwangeren Duftes weht zu ihm. Andreas trägt das Essen auf, zerteilt das Hühnchen für ihn. Obwohl er keinen Hunger hatte, isst er jetzt mit Appetit. »Schmeckt heute noch besser.«
    »Ja, ist richtig durchgezogen«, antwortet Andreas. »Morgen Vormittag gehe ich mal beim Standesamt vorbei. Die Frau am Telefon war sehr nett.«
    »Schön.« Er isst seinen Teller leer. Danach fühlt er sich erschöpft, vielleicht hat er zu viel gegessen. Er schließt die Augen, hört Andreas leise abräumen. Dann wird es still. Er ist allein im Zimmer. Schmerz schleicht sich an. Täuscht Rückzug vor, schlägt einen Haken und findet eine Lücke in der Deckung. Klaffende Lücken heute.
    Geräusche vor der Tür, Stimmen ohne Worte, sich entfernend. Er wollte rufen. Hatte keine Stimme, seine Zunge gehorchte ihm nicht. Rufen war sinnlos. Der Schmerz überwältigte ihn, zog von seiner Schulter über den Kopf in den Bauch, zwängte seine Brust ein. Er suchte nach etwas außerhalb seines Körpers, einem Geräusch, einer Stimme, einem Duft. Kein Laut, niemand vor der Tür, nur der beißende Geruch des Desinfektionsmittels im Zimmer. Krankenhausgeruch. Seine Hand tastete nach der Klingel. Nur kühler Stoff unter seinen Fingern. Der Schmerz schlug zu. Er schrie, ohne den Mund zu öffnen. Fand endlich die Klingel, sein Finger war viel zu groß für den kleinen Knopf. Minuten verrannen, Stunden. Der Schmerz nistete sich in seiner Schulter ein, quälte ihn mit Stichen. Jemand kam. Sprach. Er suchte nach seiner Stimme. Fand sie nicht. Gemurmelte Worte. Eine flüchtige Berührung. Schritte entfernten sich.
    Seine Hände klammern sich an die Bettdecke. Er beißt sich auf die Lippe. Der Schmerz ist jetzt nur noch ein gewohnter Begleiter. Er zwingt sich, die Augen zu öffnen. Helligkeit schlägt ihm entgegen. Dreht den Kopf. Andreas schläft auf der Couch. Er streckt die Hand aus, obwohl er

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