Im Zimmer wird es still
Schwesternzimmer, um sich nach Peters Zimmernummer zu erkundigen. Im Raum war ein junger Pfleger, groß, stämmig, ein Bärtchen um den Mund. Sein freundliches Gesicht leuchtete auf, er grüßte fröhlich, ein kleiner Flirt blitzte in seinen Augen.
Er fragte nach Peters Zimmer, und der Gesichtsausdruck des jungen Mannes wandelte sich augenblicklich in Mitleid.
Da wusste er, dass es ernst war. Wusste auch, dass dieser Krankenpfleger nie wieder mit ihm flirten würde, und sei es noch so locker.
Er ging in das Zimmer. Peter schaute auf. Er trat zum Bett, küsste ihn zur Begrüßung. Dann holte er sich einen Stuhl heran. Im gegenüberliegenden Bett lag ein älterer Mann, der jetzt den Fernseher ausmachte und die Kopfhörer absetzte.
»Wie geht es dir?«, fragte er Peter leise.
»Geht so. Ich hab kaum Schmerzen.«
Er nahm Peters Hand. Wollte wissen, wie Peter jetzt darüber dachte, dass er nicht eher zum Arzt gegangen war, aber er sagte nichts.
»Gibt es schon Ergebnisse?« fragte er stattdessen, sein Daumen strich über Peters Handrücken.
»Nein, die Untersuchungen dauern noch an.«
»Könnt ihr Schwuchteln endlich mal aufhören«, sagte der Mann gegenüber nicht laut, aber deutlich. Peter hielt seine Hand fester, fragte mit lauter Stimme: »Wie bitte?«
Der Mann grummelte vor sich hin.
»Was haben Sie gesagt?«
Keine Antwort. Sie wandten sich wieder einander zu, unterhielten sich weiter. Sie hätten sich vielleicht schon wieder losgelassen, nun aber nicht.
Der Mann klingelte. Nach einigen Minuten erschien eine Schwester. »Muss man sich das gefallen lassen?«, fragte er und deutete in ihre Richtung.
Die Schwester schaute sie freundlich an und fragte: »Was ist denn? Sind die Herren zu laut?«
»Muss man sich das ansehen?«
»Aber nein«, antwortete die Schwester resolut, »schauen Sie doch einfach woanders hin, aus dem Fenster, in den Fernseher oder in ein gutes Buch. Und klingeln Sie nur, wenn es wirklich wichtig ist.« Sie lächelte sie beide an und ging.
Er ließ Peters Hand los, strich über seinen Arm. »Vielleicht solltest du lieber darum bitten, in ein Einzelzimmer verlegt zu werden. Das steht dir doch zu.«
»Mal sehen.« Dann wussten sie nichts mehr zu sagen, saßen schweigend beieinander. Der Mann machte den Fernseher wieder an.
Nach fünf Tagen war klar, dass es Prostatakrebs war. Dass er Metastasen gebildet hatte. In den Lymphknoten. An der Wirbelsäule. Peter füllte eilig eine Patientenverfügung für ihn aus. Doch niemand sagte ihm, wie ernst es war. Er entnahm es nur den Gesichtern des Pflegepersonals und der Eile, mit der verschiedene Behandlungen angesetzt wurden. Chemo, Bestrahlung, Medikamente. Nein, eine Operation bringe nichts.
Peter verlor Haare, an Gewicht. Die Bestrahlung an der Wirbelsäule schlug fehl. Zwei Tage hatte er nicht kommen können, dann lag Peter im Bett und wirkte um zwei Jahre gealtert. Als er auf Toilette musste, wollte er ihm beim Aufstehen helfen, aber der Krankenpfleger schob ihn beiseite und hantierte mit einer Bettpfanne. Peter konnte überhaupt nicht mehr aufstehen.
Er ging jeden Tag ins Krankenhaus, stand hilflos daneben, überfordert von der ganzen Situation und der Geschwindigkeit, mit der sich die Ereignisse überschlugen. Die Geschehnisse drängten sich in seiner Erinnerung zusammen, er nahm sie zwar auf, sie bleiben aber unverarbeitet. Da war nur wenig Konkretes: die Wärme der Frühlingsluft, die zum Fenster hereinzog, gegen den Krankenhausgeruch keine Chance hatte. Ein teures Hemd, das er sich unbedingt hatte kaufen wollen. Das Gefühl, ganz allein zu sein, als seine Mutter ihren Besuch verschob.
Dann bestellte ihn der behandelnde Arzt zu einem Gespräch. Der Arzt war noch keine vierzig, wirkte übermüdet. An den Wänden hingen Kinderzeichnungen, der Schreibtisch war wüst mit Papieren überhäuft.
»Oh, keine Sorge, ich spiele gern den überlasteten Arzt«, er lächelte müde. »Ich habe leider keine guten Nachrichten. Sie wissen, dass der Krebs metastasiert hat, unter anderem an die Wirbelsäule. Es ist noch schlimmer, als wir zunächst dachten, die Chemo schlägt nicht an, jede weitere Bestrahlung könnte die Wirbelsäule noch mehr schädigen.«
»Was heißt das?« Er saß ganz gerade auf seinem Stuhl.
»Medizinisch können wir nichts mehr machen. Und ich will nichts von Wunderheilungen erzählen, das ist Quatsch.«
Er starrte aus dem Fenster, wusste nichts zu sagen, fühlte sich wie taub. War nicht sicher, ob er begriff. Aber er hatte
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