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Imagica

Imagica

Titel: Imagica Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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Schwachsinn erkannte.
    »Starren Sie nicht so«, warnte ihn Chant, als sie den Weg fortsetzten. Doch Charlie konnte nicht anders.
    Ein Albino mit weißen Locken kam aus einem der Wohnwagen, und das blonde Mädchen folgte ihm. Als er die beiden Männer sah, rief er etwas und eilte auf sie zu. Zwei weitere Türen öffneten sich, und andere Personen traten nach draußen.
    Estabrook bekam keine Gelegenheit festzustellen, ob sie Waffen trugen, denn neben ihm zischte Chant:
    »Schenken Sie den Leuten keine Beachtung. Gehen Sie einfach weiter. Unser Ziel ist der Wohnwagen mit der aufgemalten Sonne dort vorn. Sehen Sie ihn?«
    »Ja.«
    13

    Etwa zwanzig Meter trennten sie davon. Der Albino heulte Anweisungen, und die meisten verstand Charlie nicht. Er erahnte jedoch ihre Bedeutung - jemand sollte sie aufhalten.
    Aus den Augenwinkeln sah er Chant an, der die Lippen zusammenpreßte und zum Wohnwagen blickte. Hinter ihnen erklang das schnell lauter werdende Geräusch von Schritten; Estabrook rechnete mit einem Schlag auf den Kopf oder einem Messerstoß in die Rippen.
    »Wir schaffen es nicht«, flüsterte er.
    Als die Entfernung zum Zigeunerwagen nur noch zehn Meter betrug - der Albino schloß rasch zu Charlie und seinem Begleiter auf - öffnete sich die Tür vor ihnen, und eine Frau spähte in die Dunkelheit. Sie trug einen Morgenrock und hielt ein Kind in den Armen. Angesichts ihrer zierlichen Gestalt mußte das Gewicht des Säuglings eine erhebliche Belastung für sie darstellen; das Baby plärrte sofort, als die Kälte zu ihm kroch. Das Weinen bestärkte die Verfolger in ihrer Entschlossenheit. Der Albino packte Estabrook an der Schulter und hielt ihn fest. Chant - verdammter Feigling! - ging weiter, als der Mann mit den weißen Locken Charlie zwang, sich zu ihm umzudrehen. Es kam einem Alptraum gleich, mit diesen gräßlichen, pockennarbigen Männern konfrontiert zu werden, die nichts zu verlieren hatten, wenn sie ihn auf der Stelle umbrachten. Die Hände des Albinos schlossen sich noch fester um Estabrooks Schultern, als eine andere Gestalt näherkam -
    goldene Schneidezähne glänzten -, Estabrooks Mantel öffnete und die Taschen mit der Geschwindigkeit eines Zauberkünstlers leerte. Charlie hatte es mit zwei Profis zu tun: Sie wollten die Sache erledigen, bevor sie jemand daran hinderte. Der zweite Mann griff nach Estabrooks Brieftasche, und vom Zigeunerwagen her erklang eine Stimme.
    »Laßt ihn los. Er ist in Ordnung.«
    Von wem auch immer dieser Befehl stammte, man gehorchte ihm sofort. Der Dieb steckte die Brieftasche ein, wich zurück 14

    und hob leere Hände. Jener Bursche, der die Anweisung erteilt hatte - vermutlich Pie -, schien hier großen Respekt zu genießen, aber Estabrook hielt es trotzdem nicht für angebracht, sein Geld zurückzuverlangen. Erleichtert wandte er sich von den beiden Typen ab.
    Chant stand in der offenen Tür des Wohnwagens. Die Frau mit dem Baby und der Mann waren drinnen verschwunden.
    »Sind Sie verletzt?« fragte der Vermittler.
    Charlie blickte noch einmal zu den beiden Halunken, die jetzt zum Feuer schlenderten - wahrscheinlich wollten sie dort ihre Beute teilen.
    »Nein«, sagte er. »Aber Sie sollten zum Wagen gehen und dort nach dem Rechten sehen. Sonst nimmt man ihn während unserer Abwesenheit auseinander.«
    »Zuerst möchte ich Sie vorstellen...«
    »Kümmern Sie sich um den Wagen«, wiederholte Estabrook.
    Es bereitete ihm eine gewisse Genugtuung, Chant durch das Niemandsland zwischen hier und dem Wellblechzaun zurückzuschicken. »Die Vorstellung übernehme ich selbst.«
    »Wie Sie meinen.«
    Chant stapfte fort, und Estabrook stieg die kurze Treppe zum Wohnwagen hoch. Er nahm einen Duft wahr und hörte ein Ge-räusch, süß und melodisch. Jemand hatte Orangen geschält, und ihr Aroma hing in der Luft, vermischte sich mit der sanften Melodie eines Schlaflieds, das jemand auf einer Gitarre spielte.
    Charlie bemerkte einen Schwarzen, der in einer dunklen Ecke saß, neben einem schläfrigen Kind. Auf der anderen Seite lag das Baby, gluckste leise in einer einfachen Wiege und hob die dicken Arme - als sei es bestrebt, die Musik mit winzigen Händen zu fangen. Einige Meter davon entfernt beugte sich die junge, zierliche Frau über einen Tisch und sammelte Orangenschalen ein. Sie ging dabei sehr gründlich vor, und offenbar bedeutete ihr Reinlichkeit eine Menge - im Wohnwagen war alles sauber.
    15

    »Sie sind Pie, nehme ich an«, sagte Estabrook.
    »Bitte schließen Sie die

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