Immortalis
schrie laut, als er seinen Sturz abfing und dabei mit der Hand in die Glut griff. Montferrat sah, dass sein Ärmel Feuer fing. Im nächsten Augenblick loderte, wo der Mann die Öllampe vom Tisch gerissen hatte, ein breiter Flammenstreifen auf.
Montferrat hatte alle Mühe, di Sangros Attacken zu parieren. Die Flammen auf dem Teppich züngelten wütend, leckten an dem dicken Samtvorhang und erfassten ihn rasch ganz. Bald erfüllten Rauch und infernalische Hitze das Schlafgemach, doch der Fürst kämpfte unerbittlich weiter und schlug Montferrat mit einem überraschenden, zornigen Streich den Degen aus der Hand. Montferrat wich zurück und versuchte, di Sangros Degen zu entkommen, der jetzt allzu dicht vor seiner Kehle drohte. Durch die wallenden Rauchwolken sah er, dass der Kerl mit der verbrannten Hand die Flammen an seiner Jacke erstickt hatte und sich aufrappelte, um sich erneut ins Getümmel zu stürzen. Er bewegte sich seitwärts zur Tür, um Montferrat den Fluchtweg zu versperren.
Montferrat sah sich schnell nach rechts und links um, entdeckte einen möglichen Ausweg und beschloss, das Risiko einzugehen. Er hob die Hände, schob sich seitwärts auf den brennenden Vorhang zu und ließ di Sangro dabei nicht aus den Augen.
«Wir müssen den Brand löschen, bevor er auf die anderen Stockwerke übergreift», schrie er, während seine Füße sich weiter vorsichtig auf den Vorhang zubewegten.
«Zum Teufel mit den anderen Stockwerken», gab di Sangro zurück, «solange nur Ihr Geheimnis nicht in Flammen aufgeht.»
Montferrat hatte den brennenden Vorhang erreicht. Die halbverbrannte Jacke des Schergen lag qualmend am Boden. Montferrat zögerte nicht. Er riss die Jacke an sich, schlang sie um seine Hände und griff in die Flammen. Er zog den brennenden Vorhang herunter und schleuderte ihn di Sangro entgegen. Der lodernde Stoff landete schwer auf dem Mann. Er schrie entsetzt auf und versuchte panisch, sich zu befreien. Flammen umhüllten ihn, als es ihm gelang, den Vorhang von sich zu werfen. Wie eine Barriere loderte das Feuer zwischen den Angreifern und ihrem Opfer. Montferrat verlor keine Zeit. Er riss die Tür zum Balkon auf und stürzte hinaus in die Nacht.
Nach der Gluthitze im Schlafgemach traf ihn die kalte Luft, die von der Bucht heraufwehte, wie ein Schlag ins Gesicht. Er warf einen schnellen Blick zurück und sah, wie di Sangro und sein halbverbrannter Scherge fieberhaft gegen die Flammen kämpften, um ihm zu folgen. Di Sangro hob den Kopf und schaute ihm in die Augen. Montferrat nickte ihm zu, nahm seinen ganzen Mut zusammen, kletterte über das Geländer und sprang.
Er landete mit dumpfem Aufprall auf einem Balkon im Stockwerk darunter. Seine Zähne schlugen aufeinander, dass es in seinem Kopf krachte, und ein jäher Schmerz durchzuckte seinen Kiefer. Er schüttelte ihn ab, sprang auf und stieg über das schmiedeeiserne Gitter, um sich auf das Vordach zwei Stockwerke tiefer fallen zu lassen, als di Sangro oben auf dem Balkon erschien.
«Schnappt ihn euch», schrie di Sangro durch die Dunkelheit. Im Licht der Flammen, die hinter ihm zuckten, sah er aus wie ein Dämon aus der Hölle. Montferrat warf einen Blick hinüber zum Eingang des Palazzos; zwei Männer kamen dort herausgerannt, aber er sah nur ihre Umrisse im Licht der Laterne, die einer von ihnen trug. Er kraxelte über das Vordach und sprang hinüber auf einen Anbau. Dachpfannen lösten sich und fielen klirrend hinunter. Kurz betrachtete er die vor ihm liegenden Dächer und Kamine und plante seine Fluchtroute. In der Dunkelheit der dichtbebauten Stadt, das wusste er, würde er seine Verfolger abschütteln und verschwinden können.
Weit größere Sorge bereitete ihm aber, was jetzt kommen musste.
Wenn er seine kostbare Truhe aus ihrem sicheren Versteck, fern von seinem Palazzo, geholt hätte – eine Vorsichtsmaßnahme, die er immer ergriff –, würde er weiterziehen müssen.
Er würde einen neuen Namen annehmen und eine neue Heimat finden müssen.
Sich neu erfinden. Wieder einmal.
Er hatte es schon häufiger getan.
Er würde es wieder tun.
Di Sangro brüllte durch die Nacht. «Montferrat!» Er klang wie ein Besessener. Der Marquis wusste, dass er ihn wiedersehen würde. Ein Mann wie di Sangro gab nicht einfach auf. Er war gepackt von einer fieberhaften Habgier, die einen Mann nicht so leicht wieder losließ.
Der Gedanke ließ ihm das Mark gefrieren. Er verschwand in der Nacht.
1
SABQINE, SÜDLIBANON –
OKTOBER 2006
Evelyn Bishop
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