Immortalis
glaubhaft.»
Montferrat zog die Stirn kraus und verfluchte sich innerlich dafür, dass er auch nur angenommen hatte, der Mann könne ein verwandter Geist sein, ein potenzieller Verbündeter. Weil er ihn – und sei es noch so verstohlen – geprüft und ausspioniert hatte.
Ja, er hatte den Mann völlig falsch eingeschätzt. Aber vielleicht war das sein Schicksal. Vielleicht war die Zeit gekommen, sich die Last von der Seele zu reden und der Welt sein Geheimnis zu offenbaren. Vielleicht konnte die Menschheit einen Weg finden, ehrenhaft und großmütig damit umzugehen.
Di Sangro ließ ihn nicht aus den Augen. Kein Zucken in Montferrats Gesicht entging ihm. «Ich bitte Sie. Ich musste mich zu dieser unchristlichen Stunde aus dem Bett quälen, nur um Ihre Geschichte zu hören, marquese », sagte er ungeduldig. «Und um ganz offen zu sein, es interessiert mich nicht besonders, wer Sie sind oder woher Sie in Wirklichkeit kommen. Mich interessiert nur Ihr Geheimnis.»
Montferrat schaute seinem Befrager in die Augen. «Darüber wollen Sie nichts wissen, Principe . Glauben Sie mir. Es ist kein Geschenk, für niemanden. Es ist ein Fluch, schlicht und einfach. Ein Fluch, von dem es keine Erlösung gibt.»
Di Sangro ließ sich nicht beirren. «Das zu beurteilen, überlassen Sie ruhig mir.»
Montferrat beugte sich vor. «Sie haben eine Familie», sagte er, und seine Stimme klang jetzt hohl und fern. «Eine Frau. Kinder. Der König ist Ihr Freund. Was kann man sich da noch wünschen?»
Die Antwort kam mit beunruhigender Gelassenheit. «Mehr davon.»
Montferrat schüttelte den Kopf. «Sie sollten diese Dinge auf sich beruhen lassen.»
Di Sangro rückte näher. In seinen Augen leuchtete eine beinahe messianische Glut. «Hören Sie zu, marquese . Diese Stadt, dieser kümmerliche Knabenkönig … das ist nichts. Wenn ich Ihr Geheimnis richtig einschätze, können wir Kaiser werden. Begreifen Sie das nicht? Die Menschen werden ihre Seelen dafür verkaufen.»
Der falsche Marquis bezweifelte das nicht einen Augenblick lang. «Genau das befürchte ich.»
Vor Ungeduld atmete di Sangro schwer; er versuchte, die Entschlossenheit seines Gegenübers zu bemessen. Etwas an Montferrat erregte seine Neugier. Er beugte sich bedrohlich vor, langte über den Tisch und zog unter dem offenen Hemd des falschen Marquis ein Medaillon an einer Kette hervor. Montferrat packte di Sangros Handgelenk und hielt es fest, aber der Fürst hob sofort die Pistole und spannte den Hahn. Langsam lockerte Montferrat seinen Griff. Der Fürst hielt das Medaillon noch einen Augenblick in der Hand, dann riss er es von der Kette. Er betrachtete es.
Es sah aus wie eine große Münze, schlicht, rund und aus Bronze gegossen; vielleicht zwei Finger breit. Die einzige Applikation auf der Vorderseite war eine Schlange; ihr Kopf lag oben in dem Kreis, den ihr Körper bildete.
Die Schlange verschluckte ihren eigenen Schwanz.
Der Fürst sah Montferrat fragend an. Die harten Augen des falschen Marquis verrieten nichts. «Ich habe das Warten satt, marquese », zischte di Sangro. «Ich habe keine Lust, weiter an diesem Ding herumzurätseln.» Seine Finger krallten sich um das Medaillon, und er schüttelte es wütend vor Montferrats Gesicht. «Ich habe Ihre unverständlichen Bemerkungen satt, und ich habe es satt, Ihre vergeistigten Andeutungen zu ergründen. Ich habe es satt, mir berichten zu lassen, wie Sie bestimmten Gelehrten und Reisenden Ihre Fragen stellen, und mir meinen Teil zusammenzureimen. Ich will es jetzt wissen . Ich verlange es zu wissen. Sie können es mir hier und jetzt sagen. Oder Sie können es mit ins Grab nehmen.» Er hielt seine Pistole über den Tisch, und die beiden übereinanderliegenden Mündungen schwebten dicht vor dem Gesicht seines Gefangenen. Einen Augenblick lang hing seine Drohung in der Luft. «Sollten Sie sich aber dafür entscheiden», fuhr er dann fort, «heute Nacht hier zu sterben und Ihr Wissen mitzunehmen, bitte ich Sie doch, eine Frage zu bedenken: Was gibt Ihnen das Recht, uns zu berauben und die Welt zu missachten und in Unwissenheit zu lassen? Womit haben Sie das Recht erwirkt, diese Entscheidung für uns alle zu treffen?»
Diese Frage hatte Montferrat sich schon viele Male selbst gestellt, und sie verfolgte ihn Tag und Nacht.
In einer fernen Vergangenheit hatte ein anderer Mann, ein alter Mann, den er hatte sterben sehen, ein Freund, dessen Tod er damals aus Überzeugung mit herbeigeführt hatte, diese Entscheidung für ihn
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