I#mNotAWitch 1
Kapitel 1
Die Herbstblätter raschelten unter unseren Stiefeln, während wir durch den finsteren Wald eilten. Die nackten Äste der Bäume winkten verschwörerisch, tanzten im stechend kalten Wind. Der Strahl meiner Taschenlampe huschte über umgefallene Baumstämme, deren abgestorbenes Holz von Moos überwuchert war.
„Jetzt beeil dich, Phoebe!“, zischte ich meiner Schwester zu, die verträumt hinter mir hertrottete. In ihren Armen hielt sie den Korb mit den Kräutern, die wir für Mutter gesammelt hatten. Bilsenkraut, Tollkirsche, Stechapfel. Alles Nachtschattengewächse – wie ich vor kurzem gelernt hatte –, die eine halluzinogene Wirkung besaßen.
Es roch nach Regen. Ich blinzelte in den sternenlosen Himmel, an dem langsam dunkle Wolken aufzogen. Je mehr Zeit verstrich, umso bedrohlichere Formen nahmen sie an, verdüsterten den Horizont, und tauchten irgendwann auch die Wege Bethels in einen undurchdringlichen Nebel, in dem kleine Eiskristalle in der Luft schwebten.
Es war atemberaubend und eiskalt zugleich. Ich zog meinen Schal enger um mein Gesicht und wanderte weiter gen Norden, während Phoebe mir gelassen folgte. Meine ältere Schwester hüpfte über die Baumstämme, als hätte sie nie etwas anderes getan. Fast erwartete ich, dass sie gleich ein Lied pfeifen würde, so entspannt war sie.
Ich konnte ihre gute Laune nicht wirklich nachvollziehen. Die Kälte kroch unbarmherzig durch meinen Regenmantel, schmerzte in meinen Knochen und brannte auf meinem Gesicht wie Feuer.
An solchen Abenden wie diesem bereute ich, dass ich als Donovan-Hexe geboren worden war.
Unsere Mutter, Cate Donovan, konnte besonders streng sein, wenn es um die Praktiken und Lehren ihrer Vorfahren ging. Seit unserem siebten Lebensjahr lehrte sie uns Sprüche, die in einer längst vergessenen keltischen Schrift verfasst waren, verbot meinen Geschwistern und mir den Kontakt zu „normalen“ Jugendlichen und zelebrierte mehrmals im Jahr den Hexensabbat. Mit anderen Verrückten, die aus ganz Amerika und Kanada anreisten, um bei uns im Südwesten Alaskas – in Bethel – entlegene Gebiete aufzusuchen, die von den alteingesessenen Einwohnern nicht aufgesucht wurden. Nicht umsonst lebten wir im Yukon Delta National Wildlife Refuge , einem großen Schutzgebiet für Wildtiere.
Da der nächste Hexensabbat bald stattfinden sollte – genauer am 31. Oktober, also an Halloween –, waren Phoebe und ich an diesem Morgen losgeschickt worden, um die halluzinogenen Kräuter aufzutreiben.
Und hier waren wir nun.
Ich seufzte und stolperte über eine Baumwurzel, die quer aus der Erde ragte. Bevor ich hinfallen konnte, schnappte Phoebe nach meinem Arm und kicherte. „Hör auf so zu rennen. Du wirst dir noch etwas brechen, wenn du so weitermachst“, flüsterte sie grinsend.
Das Licht meiner Taschenlampe flackerte, tauchte Phoebes Gesicht in ein kaltes Gelb, wobei ihre langen, wirren, schwarzen Haare noch verzottelter wirkten als sonst. Ich hatte häufig versucht, die Knoten in ihren Haaren mit einem grobzinkigen Kamm zu lösen, doch sie hörte einfach nicht auf, ihre Strähnen um den Zeigefinger zu wickeln, immer und immer wieder, bis sich die Strähnen verheddert hatten.
„Du weißt, wie wütend Mutter sein wird. Ich will nicht nach Hause kommen müssen und ihre Strafen aufgebrummt bekommen. Nicht, nachdem ich mir hier soviel Mühe gegeben habe“, entgegnete ich. „Außerdem sind die Brandons sicherlich schon da.“ Unsere ersten Gäste sollten am Abend eintreffen. Die Brandons aus Illinois, Waukegan.
Phoebe zuckte mit den Schultern. „Wir können es nicht mehr ändern. Wir werden so oder so zu spät kommen. Da spielt eine weitere halbe Stunde keine Rolle mehr.“
Da hatte sie recht. Längst erwartete uns ein schonungslos geplanter Hausarrest, bei dem uns jegliche Freiheiten – die wir ja auch sonst nur halbwegs besaßen – untersagt sein würden. Also so etwas wie zur Schule zu gehen. Oder im Garten mal für zwanzig Minuten einen langweiligen Liebesroman zu lesen. Oder auch mal in einem Kiosk Schokolade und Chips einzukaufen.
Nachdenklich hastete ich weiter, während Phoebe nun an meiner Seite war und den Korb mit den Kräutern in ihrer Hand bei jedem Schritt vor und zurück schwenkte.
Der Eisnebel hatte sich verdichtet. Ich konnte trotz der Taschenlampe noch nicht mal mehr die Hand vor meinem Gesicht erkennen.
Als dann noch mehrere Vögel aufgeschrocken davonflogen und die Äste der Bäume um uns herum knackten und knirschten,
Weitere Kostenlose Bücher