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'Sie können aber gut Deutsch'

'Sie können aber gut Deutsch'

Titel: 'Sie können aber gut Deutsch' Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Gorelik
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Ein Vorwort
oder Warum dieses Buch im Idealfall im Mülleimer landen wird
    Irgendwann hatte ich einfach keine Lust mehr. Ich hatte das Gefühl schon des Öfteren gehabt, mich dann im Stillen geärgert, bei Freunden darüber geklagt, mich lustig gemacht, den Gedanken sogar bei Lesungen höflich ausgeführt, mich aber dennoch niemals deutlich gewehrt. Es war nach einer Lesung, ich las aus meinem vorletzten Roman an der Fachoberschule einer mittelgroßen deutschen Stadt, in deren Schülerschaft »es so viele Russischstämmige gibt, so viele Probleme, die bleiben ja alle unter sich, können nicht gut Deutsch« – wie mir fast jeder anwesende Lehrer einzeln versichert hatte. Die Lesung war gut gelaufen, die Leute hatten gelacht, geklatscht und Fragen gestellt, und später, als dann die Journalistin fragte, so, wie die meisten Journalisten fragen, da hatte ich dann plötzlich keine Lust mehr und fragte zurück. Die Lehrerin, die mich am Bahnhof abholte, hatte berichtet, dass sich die problematischen Russischstämmigen mehr für Fußball als für Literatur interessierten, immerhin spiele der FC Bayern heute im Halbfinale der Champions League, dabei war der Saal später so proppenvoll, dass manche auf dem Fensterbrett sitzen mussten. Keiner von ihnen sprach richtig Russisch, keiner jener, die angeblich immer unter sich bleiben, die nicht gut Deutsch können. Noch nicht einmal die kyrillischen Buchstaben konnten sie lesen, wie sich herausstellte, als ich Bücher auf Russisch signieren wollte, weil ich meinte, denjenigen, die also gerne unter sich bleiben und kein Deutsch können, damit eine Freude zu machen. Sie waren nett, aufgeschlossen, literaturinteressiert und sprachen akzentfrei Deutsch.

    Und hier sei mir ein kurzer Einschub erlaubt: Ursprünglich wollte ich an dieser Stelle – mögliche Vorwürfe der Naivität vorwegnehmend – darauf hinweisen, dass auch ich mit den besonders hohen Kriminalitäts- und Arbeitslosenzahlen, den niedrigen Bildungsgraden unter russisch-stämmigen Aussiedlern vertraut bin. Schließlich lese ich Zeitung, sehe die Tagesschau , verfolge den Prozess um den Mord an Marwa al-Schirbini, der jungen Ägypterin, die von einem Russlanddeutschen getötet wurde. Bei der Suche nach Statistiken und Studien, die dieses (vielleicht medienverschuldete, mit Sicherheit aber vorurteilsvolle) Bild bestätigten, stellte ich fest, dass es mit der Wirklichkeit wenig gemein hat. Vermutungen, der Anstieg der Tatverdächtigen unter deutschen Jugendlichen, Heranwachsenden und Jungerwachsenen sei auf die höhere Kriminalitätsrate von Spätaussiedlern zurückzuführen, werden durch Auswertungen polizeilicher Daten nicht bestätigt. Erwachsene Russlanddeutsche verfügen öfter über eine akademische Ausbildung als Deutsche. Und der Prozentsatz der erwerbstätigen Aussiedler liegt zwar knapp unter dem der Deutschen, ist aber immer noch hoch im Vergleich zu anderen Migrantengruppen. Aber das nur so zwischendrin.
    Nachdem ich also signiert hatte, bat eine junge Redakteurin einer mittelgroßen deutschen Zeitung um ein Interview. Sie schien nicht älter als die Schüler zu sein, Praktikantin, Volontärin vielleicht, eine »echte« Deutsche.
    Ihre erste Frage lautete: »Was sind die größten Vorurteile, die die Russen gegenüber den Deutschen haben?«
    Ihre zweite Frage lautete: »Was sind die größten Vorurteile, die die Deutschen gegenüber den Russen haben?«
    Sie sagte »die Russen« und »die Deutschen«, beide Male.
    Sie fragte: »Fühlen Sie sich hin- und hergerissen zwischen Ihrer russischen und Ihrer deutschen Mentalität?«

    Sie fragte: »Wie fühlen Sie sich, eher deutsch oder russisch? Vielleicht sogar ein bisschen jüdisch?«
    Ich fragte mich im Stillen, ob sie Prozentzahlen hören wollte, als sei meine Mentalität als Tortendiagramm darstellbar, das später als Abbildung in der Zeitung auftauchen könnte mit der Unterschrift »Lena Goreliks Mentalität. Weiß – russisch, schwarz – deutsch, grau – jüdisch«. Während ich ihr höflich erläuterte, dies sei eine Frage, die sie mir, aber niemals ich mir stellte, im Prinzip hielte ich mich für eine gute Mischung.
    Sie fragte: »Aber können Sie denn sagen, zu wieviel Prozent diese Mischung deutsch und zu wieviel Prozent sie russisch ist?«
    Dann fragte sie noch: »Und wie oft fahren Sie so nachhause?«
    Das war der Moment, in dem ich wirklich keine Lust mehr hatte, keine Lust mehr zu antworten.
    »Welches Zuhause? Mein Zuhause ist München, ich

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