Imperium
seines Sohnes. Er nahm ihn sogar fast jedesmal mit zur Rennbahn, wenn er an den Samstagnachmittagen dorthin verschwand – sehr zum
Unwillen Lady Townsends, die darauf bestand, daß Keith am nächsten Tag die Morgenmesse besuchte. Doch zu ihrer
Enttäuschung zeigte ihr Sohn schon bald mehr Interesse an den Buchmachern als an den Geistlichen.
Um diesem frühen sittlichen Verfall Einhalt zu gebieten, entwickelte Lady Townsend eine solche Entschlossenheit, daß sie eine Gegenoffensive begann. Als Sir Graham sich auf einer längeren Geschäftsreise in Perth befand, stellte sie ein 51
Kindermädchen namens Florrie ein, dessen einzige Aufgabe darin bestand, die Kinder zu beaufsichtigen. Doch Florrie, eine Witwe in den Fünfzigern, erwies sich als dem vierjährigen Keith nicht gewachsen. Schon nach wenigen Wochen
versprach sie ihm, es seiner Mutter nicht zu verraten, wenn der Vater ihn mit zur Rennbahn nahm. Als Lady Townsend dieses Komplott entdeckte, wartete sie ab, bis ihr Gemahl seine jährliche Geschäftsreise nach Neuseeland unternahm; dann ließ sie auf der Titelseite der Londoner Times eine Annonce aufgeben. Drei Monate später ging im Hafen von Melbourne eine gewisse Miss Steadman von Bord eines Schiffes und meldete sich in Toorak zum Dienst. Sie erwies sich als genau das, was ihre Zeugnisse versprochen hatten.
Die in St. Leonard in Dumfries aufgewachsene Tochter
eines schottischen presbyterianischen Geistlichen wußte, was man von ihr erwartete. Florrie liebte die Kinder auch weiterhin so sehr, wie die Kinder sie liebten; Miss Steadman hingegen schien nur ihren Beruf zu lieben und das, was sie für ihre heilige Pflicht hielt.
Sie bestand darauf, daß sie stets und von jedem – egal welchen Standes – mit »Miss Steadman« angeredet wurde, und sie ließ alle deutlich merken, wo sie auf ihrer gesellschaftlichen Leiter standen. Der Chauffeur fügte der Anrede stets eine knappe Verbeugung hinzu; selbst Sir Graham konnte der resoluten ältlichen Jungfer seinen Respekt nicht versagen.
Gleich am ersten Tag organisierte Miss Steadman die
Erziehung der Kinder auf eine Weise, die sogar einen Offizier der Militärakademie in Sandhurst beeindruckt hätte. Keith versuchte alles – über Schmeicheln und Schmollen bis hin zum Heulen –, um sich Miss Steadman gefügig zu machen, doch er mußte rasch einsehen, daß sie eisern bis ins Mark und durch nichts zu erweichen war. Sein Vater wäre ihm zu Hilfe gekommen, hätte nicht seine Gemahlin Miss Steadmans Lob in den höchsten Tönen gesungen – vor allem, was ihre
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Bemühungen betraf, dem jungen Herrn korrektes Englisch beizubringen.
Mit fünf begann Keith’ Schulzeit, und am Ende der ersten Woche klagte er Miss Steadman sein Leid, daß die anderen Jungen nicht mit ihm spielen wollten. Sie war der Ansicht, es sei nicht ihre Aufgabe, dem Jungen zu erklären, daß sein Vater sich im Laufe der Jahre viele Feinde gemacht hatte.
Die zweite Woche erwies sich als noch schlimmer; denn Keith wurde ständig von einem Jungen namens Desmond
Motson gepiesackt, dessen Vater vor kurzem in einen Betrug um Schürfrechte verwickelt gewesen war, welcher im
Melbourne Courier mehrere Tage Schlagzeilen gemacht hatte.
Daß Motson fünf Zentimeter größer und gut drei Kilo schwerer war als Keith machte ihm die Sache auch nicht gerade leichter.
Oft dachte Keith daran, mit diesem Problem an seinen Vater heranzutreten. Da sie einander jedoch nur noch an den Wochenenden sahen, gab Keith sich damit zufrieden, ihn an den Sonntagvormittagen in seinem Arbeitszimmer zu besuchen und sich seines Vaters Meinung über den Inhalt der Courier-und Gazette -Ausgaben der vergangenen Woche anzuhören und wie er diese Zeitungen mit denen seiner Konkurrenten
verglich.
»›VOLKSKREUND UND DIKTATOR‹ – eine schwache
Schlagzeile«, kritisierte sein Vater eines Sonntagmorgens, als er auf die Titelseite der Adelaide Gazette des Vortags blickte.
Kurze Zeit später fügte er hinzu: »Und eine noch schwächere Story. Von diesen Leuten dürfte keiner jemals wieder auch nur in die Nähe einer Titelseite kommen.«
»Aber es steht nur ein einziger Name über der Kolumne«, stellte Keith fest, der seinem Vater aufmerksam zugehört hatte.
Sir Graham lachte. »Stimmt, mein Junge. Aber vergiß nicht, daß die Schlagzeile von einem Redakteur stammt und nicht vom Verfasser des Artikels.«
Keith blickte verwirrt drein, bis sein Vater ihm erklärte, daß 53
Schlagzeilen häufig geändert wurden –
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