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In allertiefster Wälder Nacht

In allertiefster Wälder Nacht

Titel: In allertiefster Wälder Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amy McNamara
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Tag ist vorüber und ich hab nicht geduscht. Es klingelt wieder. Meine Mutter. Sie ruft an, immerzu. Sie ist die Einzige, die sich noch die Mühe macht. Das Telefon klingelt und vibriert jetzt ein bisschen. Anscheinend hat es die Sprache ihres andauernden Bedürfnisses nach Vergewisserung gelernt, jedenfalls scheppert es lärmend auf dem Regal, auf dem ich es nach ihrem letzten Anruf abgelegt habe. Das dritte Mal heute. Nie hab ich was Neues zu sagen. Sie spricht zu mir, sagt dies und das über meine Freunde. Leute, die ich nicht mehr sehen wil l. Hauptsächlich höre ich auf ihre Stimme, nicht auf die Wörter, auf die Melodie. Manchmal ist das beruhigend.
    Wenn es weiter so summt, arbeitet sich das Ding noch vom Regal runter.
    Ich geh ran, ohne drauf zu gucken.
    »Ja?«
    Ich mach nicht mal den Versuch, nicht verärgert zu klingen.
    »Mamie?«
    Seine Stimme.
    Mein Herz wechselt in einen rascheren Takt. Ich lege das Telefon ans andere Ohr.
    »Ja … na ja, nein.«
    »Oh, tut mir leid …« Er klingt erstaunt.
    »Nein, damit will ich sagen, ich bin Mamie – gewesen –, ich lass mich nicht mehr so nennen, also, hier, mein Dad nennt mich Wren.« Ich rede zu schnell. Wie eine Erstklässlerin. Mein Dad nennt mich Wren . Wer sagt denn so was?
    »Wren?«
    »Ja, wie der Vogel.« Tief atmen.
    »Okay, Wren.« Er lacht. Klingt nett.
    Mein Körper verkrampft sich, ich setze mich auf. Damit ich einen klaren Kopf kriege. Ich werde kein Interesse entwickeln für diesen Typen.
    »Hier ist Cal Owen.«
    Cal Owen.
    »Der mit dem Auto neulich, im Wald?« Er räuspert sich. »Ich rufe an, weil ich nichts von dir oder deinem Vater gehört habe, und wenn ich versuche, ihn anzurufen, krieg ich keine Mailbox.«
    »Jaa«, sage ich. Meine Stimme bricht ein bisschen, ist wegen Nichtnutzung kratzig geworden. »Er hat keine Mailbox. Entweder kriegt man eine seiner Assistentinnen dran oder gar keinen. Keine Ablenkungen.«
    »Ich hatte das Gefühl, ich sollte ihm erzählen, was passiert ist. Mich entschuldigen, bei euch beiden.«
    Schweigen.
    Er hält kurz inne.
    »Ich wollte nur wissen, ob es dir gut geht. Ich dachte, ich hätte inzwischen von Leonore unten im Fahrradladen hören müssen. Oder vom Anwalt deines Vaters oder so.« Noch ein Lachen.
    »Mir geht’s gut.« Ich lege etwas Betonung auf das Wort, versuche, den Anschein zu erwecken, beschäftigt zu sein oder abgelenkt, so als müsse ich auflegen und zu irgendwelchen faszinierenden Sachen zurück, die ich gerade mache. »Mein Rad hat mehr abgekriegt als ich.«
    Wenn er nur wüsste. Der kleine Unfall im Wald war gar nichts, war winzig, nur ein schwaches Echo von dem, was wirklich passieren kann. Was immerzu passiert. So wie die Sache, die ich zu vergessen versuche. Ich schaue auf meine verschorften Handflächen.
    »Mir geht es gut«, wiederhole ich mit klarerer Stimme.
    Lange Pause.
    Mein Herz hämmert so heftig, dass ich es hören kann. Eine Sekunde mache ich mir Sorgen, dass er es vielleicht auch hört. Ich sollte noch irgendetwas sagen, aber mir fällt nicht ein, was. Doch mir kommt der Gedanke, dass ich einfach auflegen könnte.
    »Ich hab mich umgehört«, sagt er schließlich, die Stimme klingt leise, vorsichtig. »Ich hab gehört, dein Vater ist nicht im Land.«
    Aha.
    »Ja. Na und?«
    »Also, dachte ich, vielleicht …«
    Ich schneide ihm das Wort ab. »Ich bin erwachsen.«
    Na klasse. Die Hitze kriecht mir die Wangen hoch.
    »Natürlich«, sagt er. »Ich hab auch nicht vor, dich zu belästigen. Ich wollte nur sichergehen, dass bei dir alles in Ordnung ist, wo du doch allein bist da … und ob du was brauchst.«
    »Tu ich nicht.« Ich versuche, frisch zu klingen, ganz Mutters Tochter, und die Kontrolle zurückzugewinnen.
    »Ich bin den Gedanken nicht losgeworden, dass du dir vielleicht den Kopf gestoßen haben könntest, als du gestürzt bist, und … Ich wollte einfach nur deine Stimme hören.«
    Meine Stimme hören? Hat er das gerade gesagt? Mein Herz kommt auf Touren, schlägt noch schneller, trotzt mir.
    »Beim Sturz haben nur meine Hände was abgekriegt. Und mein Knie. Und das ist schon wieder gut. Ist alles in Ordnung.« Mir sitzt was im Hals.
    Nichts ist in Ordnung.
    So was zu sagen, egal zu wem, ist ein Witz. In mir steigen die Tränen auf wie eine Horde Aufständischer, wie eine Überschwemmung nach langer Dürre. Ich werde nicht weinen.
    Er hört alles. »Du klingst nicht so, als ob alles gut wäre. Ich will ja nicht nachbohren, aber du klingst gar nicht gut. Und ich

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