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In den Häusern der Barbaren

In den Häusern der Barbaren

Titel: In den Häusern der Barbaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Héctor Tobar
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sie herum, die übergroßen, unregelmäßig aufgestellten Bände in ihren Kiefernregalen, die Plastikeimer voller Bauklötze und Spielzeugautos. Auch hier spürte er den Wahnsinn der Geldverschwendung, auch wenn er selbst viel von dem Überfluss in diesem Zimmer angeschafft hatte. Wie oft hatte er mit ganz bescheidenen Absichten ein Spielzeuggeschäft oder einen Buchladen betreten, um dann doch mit einem Elektronikbausatz aus Deutschland oder einer Kinderenzyklopädie wieder herauszukommen? Wären nicht das verfügbare Bargeld inzwischen weniger und die Zinsen auf den Kreditkarten und die Hypotheken immer höher geworden, dann wäre er jetzt mit den Jungen vielleicht zum nächstgelegenen High-End-Spielzeugladen gegangen, zum Wizard’s Closet , um Spielzeug zu kaufen, das seine eigenen Kindheitsträume erfüllte. In den Bücherregalen stapelten sich Multiplikations-Zeigekarten, ein Geografiequiz, ein Spirator zum Selbermachen von Trommelsteinen, eine Kiste mit Bauklötzen für antike Architektur. Unter dem Stockbett belagerte ein historisch korrekt dargestellter Satz Bürgerkriegssoldaten gerade zwei Dinosaurier aus Vollgummi. Scotts Eltern hatten Opfer gebracht, um ihrem Sohn ein besseres Leben als ihr eigenes zu ermöglichen; sie hatten gespart und auf Luxus verzichtet; Scott warf das Geld mit Vergnügen zum Fenster hinaus, um seinen Kindern noch einmal das Gleiche zu bieten. Er erinnerte sich an die Hände seines Vaters, die Hände mit ihren gekrümmten, drei Jahrzehnte alten Narben, die von der Arbeit in Landwirtschaft und Fabrik herrührten und die der Sohn auf Drängen des Vaters mehr als einmal hatte anschauen müssen. Er hatte seine Vorgeschichte bedenken und Zwiesprache mit dem Leiden halten sollen, das in diesen Händen gespeichert war und im Angesicht der sauberen und schweißfreien Versprechen von Gegenwart und Zukunft in Vergessenheit geriet.
    »Dad, Keenan hat immer noch nicht mit Spielen aufgehört«, sagte Brandon, der inzwischen auf sein Bett geklettert war und nach dem Buch von gestern Abend griff.
    »Keenan, schalte bitte deine Konsole aus«, sagte Scott mit abwesender Stimme. Wären seine Söhne ein paar Jahre älter und schon empfänglich für so erwachsene Regungen wie Zweifel und Reue gewesen, dann hätten sie seinen Tonfall vielleicht als störend empfunden. Ganz ähnlich hatte Scott sich in der Nacht gefühlt, als Samantha geboren worden war, in jenen drei Stunden, als ihn die Angst überwältigte, dass er und seine Frau das Schicksal herausgefordert hätten, indem sie mit fast vierzig noch ein drittes Kind bekamen. Sein Gott, halb knauserig protestantisch und halb rachsüchtig katholisch, würde sie mit einer gerechten Strafe heimsuchen; sie hatten zu viel gewollt, sie waren auf das Mädchen aus gewesen, das ihrer Familie die »perfekte« Ausgewogenheit schenken würde. Doch Samantha war leichter zur Welt gekommen als ihre Brüder, nach heftigen, aber kurzen Wehen, und sie war ein gesundes, aufmerksames Kind. Nein, die Quittung wurde ihm an einem ganz nahe liegenden und offensichtlichen Ort präsentiert: in der privaten Kalkulationskatastrophe seiner Fehlinvestitionen. Ich dachte, ich wäre umsichtig. Alle haben gesagt: »Lass dein Geld nicht rumliegen, verpass nicht den Anschluss – das wäre dumm. Steig ein, spiel mit.« Die Absurdität, dass eine sechsstellige Investition in sogenannte Wertpapiere so rasch und unwiederbringlich an Wert verlieren und auf Taschengeldgröße schrumpfen konnte, vermochte er noch immer nicht zu begreifen. Er sorgte sich um die beiden Genies in diesem Zimmer und fürchtete die Turbulenzen der womöglich unvermeidlichen Reise, die mit dem Verkauf dieses Hauses und dem Umzug in eine weniger weitläufige Unterkunft beginnen würden. Scott betrachtete den frühreifen Leser auf dem oberen Etagenbett und seinen jüngeren Bruder, der anscheinend übernatürliche Fähigkeiten beim Lösen logischer Aufgaben besaß, sofern man das schnelle Durchschreiten der Level in diesem Spiel zum Maßstab nahm, und er fragte sich, ob er ihrem Leben wohl bald etwas Wesentliches würde nehmen müssen.

3 Die ersten Gäste klingelten zehn Minuten zu früh an der Tür, eine schreckliche Angewohnheit der Nordamerikaner, fand Araceli. Sie verdrehte entnervt die Augen, ließ einen Stapel sopes in der Küche liegen, die noch mit Käse aus Oaxaca garniert werden mussten, und ging in Richtung des Fingers, der die elektrischen Glockenschläge ausgelöst hatte. Zwei Zwergen-Zenturios mit

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