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In den Häusern der Barbaren

In den Häusern der Barbaren

Titel: In den Häusern der Barbaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Héctor Tobar
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erinnerte, eine halbherzige Konzession an die Weiblichkeit. Wie an jedem Arbeitstag hatte Araceli die unförmige, an eine Schwesterntracht angelehnte Uniform namens filipina an, die alle Hausangestellten in Mexiko City trugen. Araceli besaß fünf davon und hatte heute die blassgelbe gewählt, weil es die neueste war. Sie nahm der PR -Frau die Cookies mit einem Stirnrunzeln ab, das sagte: Wenn Sie darauf bestehen, mir die Dinger geben zu wollen … Carla Wallace-Zuberi unterdrückte ein überraschtes Kichern. Das ist mal eine knallharte Frau, eine geradlinige Mutter. Guck sich einer diese Hüften an: Die Frau hat schon Kinder zur Welt gebracht. Natürlich ist sie verärgert, weil sie von ihrem Kind oder ihren Kindern getrennt ist. Carla Wallace-Zuberi hielt sich selbst für »progressiv«; ein paar Tage vor der Party hatte sie in ihrem Stammbuchladen zwanzig Minuten lang die Klappentexte und ersten Absätze eines Buches namens Marías Entscheidung gelesen, das den Weg einer guatemaltekischen Frau schilderte, die in Kalifornien arbeitete und deshalb gezwungen war, ihre Kinder jahrelang in der Heimat zurückzulassen. Wie schrecklich , dachte Carla, wie entsetzlich, dass solche Menschen unter uns leben. Dies Schilderungen in diesem Buch hatten sie so verstört, dass sie es nicht mehr hatte kaufen können, und wann immer ihr Blick im Verlauf der Feier nun auf Araceli fiel, wandte sie voller Mitleid und schlechtem Gewissen die Augen ab.
    Als fünf Minuten später Sasha »Big Man« Avakian vor der Tür stand, schaute er Araceli direkt in die Augen, was ihr zugleich ärgerlich und vertraut vorkam. Er war groß und kräftig gebaut, mit rötlich blonden Locken und dunklen Augenbrauen, die wie Güterwaggons aussahen. Gerade zog er die beiden Waggons beim Blickkontakt mit der mexikanischen Hausangestellten eifrig in die Höhe. Big Man war der Geschäftspartner von el señor Scott gewesen, und früher war er sehr häufig zu Besuch gekommen und hatte Araceli jedes Mal mit diesem verschmitzten Blick belästigt. Er nannte sich selbst einen »professionellen Schönschwätzer« und sah in Araceli die Authentizität, die neunundneunzig Prozent der Leute fehlte, mit denen er sonst zu tun hatte. Er kannte keinen Spruch, keinen cleveren Konter, mit dem er diese Frau hätte erheitern oder bezirzen können, so wie die Leute aus seinem englischsprachigen kalifornischen Software-Unternehmer-Umfeld. Er hatte Araceli auch schon ohne Uniform, mit viel längeren, nicht zurückgebundenen Haaren gesehen, und einmal hatte er sie mit einem zweisprachigen Scherz zum Lachen gebracht. Ihr Lachen, ihr rundes Gesicht, das sich plötzlich aufhellte, und das glitzernde Elfenbein ihrer Zähne hatte er nicht vergessen können. Sie arbeitete mit einer anderen jungen Frau zusammen, Guadalupe, doch die war zu zierlich und zu aufgesetzt fröhlich, um ihn zu interessieren, und ihre Abwesenheit fiel ihm daher kaum auf. Big Man wusste sogar, weil er es im Laufe der Jahre ausgeforscht hatte, dass Araceli keine Kinder und keinen Freund hatte, von dem Scott oder Maureen wussten (jedenfalls nicht diesseits der Grenze). Scott hielt sie für eine Art Sphinx, und er und seine Frau hatten Spitznamen für sie wie »Madame Seltsam«, »Sergeant Araceli« oder – sehr ironisch – »Little Miss Sunshine«; aber sie war auch äußerst verlässlich, vertrauenswürdig und eine blendende Köchin. Avakians Magen knurrte beim Gedanken an die mexikanischen Vorspeisen, die heute gereicht werden würden, wie bei allen anderen Partys der Torres-Thompsons. Er trat vor seiner duldsamen Frau und seinem Sohn ein und sagte nichts weiter zu Araceli als ein gemurmeltes »Hola« .
    Der unterschwellige Groll im schokoladenbraunen Wirbel von Aracelis Iris traf auch alle anderen Gäste, die durch die Haustür kamen und dem Lärm der schreienden Kinder und plaudernden Erwachsenen in den Garten folgten. Keine der zur Party eingeladenen Mütter hatte eine im Haus wohnende Vollzeitangestellte aus Lateinamerika, und bei ihnen weckte Aracelis Anwesenheit Neid und Minderwertigkeitsgefühle. Sie wussten, wie gut Araceli kochte, sie galt als unermüdliche Arbeiterin, und die Gäste überlegten kurz, wie es wohl wäre, wenn auch bei ihnen eine Fremde wohnte, die allen Dreck aus dem Bad und aus der Küche und überhaupt aus der ganzen Wohnung entfernen würde. Erledigt sie tatsächlich sämtliche Arbeiten? Manche brachten Maureens sommerliche Fitness mit dieser Mexikanerin in Verbindung und mit der

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