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In den Häusern der Barbaren

In den Häusern der Barbaren

Titel: In den Häusern der Barbaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Héctor Tobar
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anderen, Guadalupe, die aus unerfindlichen Gründen heute nicht da war. Wenn ich zwei zusätzliche Paar Hände hätte, die den Haushalt erledigen und das Baby herumschleppen, dann würde ich auch gut aussehen. Den meisten Ehemännern hingegen fiel Araceli überhaupt nicht auf, sie war Teil der häuslichen Kulisse, wie eine schlecht gelaunte Platzanweiserin am Eingang eines prächtigen Theaters. Die Erinnerung an sie verblasste neben der Geburtstagsdekoration im Wohnzimmer, den auffallenden Farben und Oberflächen der Möbel und Einrichtungsgegenstände – dem schlammfarbenen bolivianischen Wandteppich, der übers Sofa geworfen war, oder der schimmernden Steinfläche des Bodens, die Araceli gestern Abend gewischt und poliert hatte, neben den Bücherregalen und Schränken aus künstlich gealterter Kiefer, in denen zwei Dutzend in Zinn und Kirschholz gerahmte Bilder ein Jahrhundert Familiengeschichte der Torres’ und Thompsons dokumentierten. Die Gäste durchschritten den makellosen Prolog des Wohnzimmers und gelangten von dort durch eine offene Glasschiebetür in den Garten, einen Rasenhalbkreis von der Größe eines Basketballfeldes, umrahmt vom gezähmten Dschungel des petit Regenwaldes, der, da das automatische Berieselungssystem seit einer Woche ausgefallen war, allmählich trocken und verwelkt wirkte. Ein brummender Motor stand neben einer großen Hüpfburg auf dem Rasen, auf dem Dunkelblau des Swimmingpools glitzerten Sonnenreflexe, ein kleiner Zeltpavillon überdachte einen Tisch voller Spielzeugschwerter und -schilder und Pappmascheehelme. Eine weitere VIII aus Pappe, mit Marmormuster bemalt, hing vom Dach des Pavillons.
    Die Gäste trafen Maureen etwa in der Mitte der Rasenfläche, die kleine Samantha auf der Hüfte, elegant wie immer im taubenblauen Trägerhemd und grauen, mit Orchideen bedruckten Chiffonrock. Sie begrüßte jeden erwachsenen Gast mit Wangenkuss; sie genoss die kultivierte Geste, die den Menschen der Kleinstadt am Fluss, in der sie ihre Jugend verbracht hatte, gänzlich fremd gewesen war. »Maureen, du siehst toll aus!«, riefen die Gäste. »Wie hast du so schnell wieder abgenommen?« »Guck dir bloß Sam an: Wie groß sie geworden ist!« »Und was du alles für die Party vorbereitet hast! Wie schaffst du das bloß? Wo nimmst du die Zeit her?« Sie zuckte abwiegelnd mit den Achseln und führte die Gästekinder zum Tisch mit den nachgemachten Römerausrüstungen. »Wir haben Helme und Schwerter, die ihr ausprobieren könnt. Aber bitte nicht wirklich damit zuschlagen!«
    Um zwei Uhr standen zwei Dutzend erwachsene Gäste im Garten und blinzelten den sonnenüberfluteten Rasen an, als hätte sie der plötzliche Sommereinbruch überrascht. Tatsächlich hatten viele Badesachen für ihre Kinder mitgebracht, von denen jedoch noch keines Interesse am Pool gezeigt hatte. Sie waren Ende dreißig, Anfang vierzig und hatten Informatik studiert; sie waren noch jung genug gewesen, um neue berufliche Laufbahnen einzuschlagen, aber schon alt genug, um mit nostalgischen Gefühlen an das Abenteuer zu denken, das sie gemeinsam bei MindWares durchlebt hatten. Sie waren damals aus verschiedenen langweiligen Jobs in Buchhaltung und Marketing gelockt worden, aus den IT -Innereien der großen Konzernfestungen, zu einem Unternehmen, das der Big Man wiederholt mit der Führung eines Siedlertrecks über den Oregon Trail verglichen hatte. Die letzten Monate von MindWares kometenhaftem Aufstieg und Fall waren bestimmt gewesen von heftigen inneren Auseinandersetzungen bezüglich der weiteren Geschäftsstrategie, und in den letzten Tagen unternehmerischer Unabhängigkeit, bevor die verantwortungsbewussten Investoren alle ursprünglichen Angestellten bis auf zwei entlassen hatten, sprachen mehrere der heute hier Anwesenden kein Wort miteinander. Doch die Zeit hatte diese Unstimmigkeiten zur nötigen Würze in der süßen Erzählung von den großen Möglichkeiten gemacht, die sie einst alle verbunden hatte.
    »Hey, da kommt der Forschungschef!«
    Tyler Smith war eingetroffen, mit drei Kindern und mit seiner Frau, die aus Taiwan eingewandert war und ihren Zöglingen gerade auf Mandarin einbläute, sich zu benehmen und nicht ohne ihre Mutter in den Pool zu springen.
    »Wird in Sierra Leone schon gelesen?«, rief der Big Man. Diesen Scherz musste sich der Leiter der Forschungsabteilung ständig anhören, seit er einmal nach Westafrika gereist war, um Software von MindWare zu testen, die angeblich den Analphabetismus

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