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In den Ruinen von Paris

In den Ruinen von Paris

Titel: In den Ruinen von Paris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Kapitel 1
    Auf den ersten Blick erschien die Welt dort draußen vollkommen fremdartig. Der Himmel war von einer dunklen, türkisgrünen Farbe, auf dem eine Sonne wie ein faustgroßer, giftiggrüner Fleck mit verschwommenen Rändern prangte, die sich in beständiger Bewegung zu befinden schienen. Die Luft war sonderbar klar, so daß man meilenweit sehen konnte. Unter ihnen erstreckte sich eine bizarre Alptraumlandschaft aus zerstörten Gebäuden, zusammengestürzten Straßenzügen und gewaltigen Kratern, die sich im Laufe zweier Generationen mit Wasser und Pflanzen von sonderbar schmieriger, grünvioletter Farbe gefüllt hatten. Es war eine der größten und schönsten Städte der Erde gewesen. Doch daran erinnerte nun nichts mehr. So weit Charity sehen konnte, erblickte sie nicht ein einziges unzerstörtes Haus, nicht ein einziges Fenster, das nicht zerborsten, nicht ein einziges Dach, das nicht eingestürzt war. Und wahrscheinlich, dachte sie matt, waren die schlimmsten Spuren der Zerstörung gar nicht mehr zu sehen. Die Stadt war die Beute eines Pflanzenmonsters geworden, das die Häuser und Straßen im Verlauf der letzten fünf Jahrzehnte geduldig, aber unaufhaltsam verschlungen hatte, wie ein lebendiges Leichentuch, das die Invasoren von den Sternen über die Stadt ausgebreitet hatten. Wo der Fluß gewesen war, zerschnitt ein breiter, schlammig brauner Graben dieses Leichentuch. Auf seinem Grund schimmerte es weiß und rostrot: die Wracks der Ausflugsschiffe und Lastkähne, die einst darauf gefahren waren. Aber er führte kein Wasser mehr, sah man von einem trüben Rinnsal ab, das in seiner Mitte mäanderte. Einige der Brücken waren noch vorhanden: zerborstene, zum Teil wie geschmolzen aussehende Stahlkonstruktionen, die sich in kühnem Bogen über etwas schwangen, das gar nicht mehr da war. Und wie um die Sinnlosigkeit aller menschlichen Anstrengungen deutlich zu machen, waren auch sie frei von der grünen Pest. Das ausgetrocknete Flußbett war wie eine Barriere, hinter der die fremdartige Flora nicht hatte Fuß fassen können. Das Erschreckendste aber war der Turm; eine gigantische, schwarze Stahlkonstruktion, deren durchbrochene Flanken sich in sanften Bögen aufeinander zubewegten und sich hoch über der zerstörten Stadt zu einer nadeldünnen Spitze vereinten. Er war so weit entfernt, daß Charity ihn als Schatten wahrnehmen konnte. Und das unheimliche, grünviolette Licht ließ die Konstruktion unwirklich und fast schwerelos erscheinen. Aber sie erkannte den Turm trotzdem. Niemand, der diese Konstruktion auch nur einmal im Leben zu Gesicht bekommen hatte, vergaß sie je wieder. Der Anblick erfüllte sie für einen Moment mit Zorn. Seit sie aus dem Schlaftank gestiegen und an die Oberfläche dieser geschändeten Erde zurückgekehrt war, hatte sie so viel Zerstörung, so viel Tod und Leid gesehen, daß sie manchmal schon glaubte, es gäbe nichts mehr, was sie noch erschüttern konnte. Aber das stimmte nicht. Das Entsetzen kannte keine Grenzen. Sie hatte Städte gesehen, die dem Erdboden gleichgemacht worden waren. Ganze Landstriche, die verödet waren, frucht-bare Täler und Felder, auf denen nie wieder etwas wachsen würde, Orte, deren Bewohner bis auf das letzte Kind getötet worden waren - und doch erfüllte sie der Anblick dieser von wucherndem Pflanzenleben überrannten Stadt mit einer tieferen Verbitterung, als sie sie je zuvor empfunden hatte. Die Legionen Morons hatten ihre Welt überfallen und unterworfen, und irgendwie hatte Charity sich damit abgefunden, so entsetzlich der Gedanke auch war. Aber sie mußte plötzlich wieder an das denken, was ihr Niles in der unterirdischen Festung erzählt hatte: daß es ganze Landstriche, ja vielleicht Kontinente gab, auf denen sie begonnen hatten, sich die Erde nicht nur Untertan zu machen, sondern sie nach ihren Wünschen und Vorstellungen umzugestalten. Sie hatte damals gar nicht wirklich begriffen, was er gemeint hatte, als er sagte, sie begännen die Erde zu verändern. Jetzt verstand sie es, weil sie es sah.
    Vielleicht hatten sie dieses Leichentuch nicht nur über diese Stadt ausgebreitet, sondern über den ganzen Planeten, und vielleicht war die Welt, in der sie erwacht war, die Welt der Wastelan-ders und Rebellen bereits die Ausnahme; Mottenlöcher in dem neuen Gewand, in das die Invasoren die Erde hüllten. Und sie nichts weiter als die Motten, die sie hineingefressen hatten. Und die man mit einer nachlässigen Bewegung davon-schnippen

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