In der Oase
Macht, die du einmal besessen hast, ist auf sie übergegangen, also hüte von jetzt an deine Zunge. Geht und esst etwas, alle beide. Ich muss mich ausruhen.« Aahmes-nofretari und Tetischeri musterten sich mit wachsamem Blick. Tetischeri reckte sich.
»Sie ist erschöpft«, sagte sie schließlich. »Ich verzeihe ihr die unerbietigen Worte.« Aahmes-nofretari hätte am liebsten gelacht. Sie nahm den zierlichen Leib in die Arme und drückte ihre Großmutter an sich.
»Ich liebe dich, Tetischeri«, sagte sie erstickt. »Du bist genauso störrisch wie ein Esel und wieherst genauso laut. Ich gehe später zum Tempel und bete für Kamose. Kommt doch mit.«
Jetzt können wir damit beginnen, richtig um ihn zu trauern, dachte sie, als sie Ahmoses Zimmer betrat. Die Schrecken liegen hinter uns. Doch während sie sich gut zuredete, stand vor ihrem geistigen Auge das Bild von Nofre-Sachuru, wie sie am Pfahl zusammensank, wie das Blut aus ihrem Hals sprudelte und sich der Medjai ruhig bückte und sein Messer in ihrem zerknautschten Gewand abwischte.
Ahmoses Leibdiener wusch gerade seinen Herrn, als sie zum Lager trat, und er hielt inne und verbeugte sich.
»Der Arzt ist heute Morgen schon hier gewesen, Prinzessin«, sagte er. »Die Wunde verheilt gut und braucht jetzt nur noch Honig. Und der Prinz bewegt sich und stöhnt bisweilen. Der Arzt ist sehr zufrieden. Er sagt, der Prinz kann jeden Augenblick die Augen aufschlagen.«
»Ich störe dich nicht weiter, ich frühstücke mit den Kindern«, sagte Aahmes-nofretari. »Später komme ich wieder und setze mich zu ihm.«
Sie speiste ohne Appetit, spielte mit Ahmose-onch, nahm die Kleine auf den Arm, doch nichts milderte das Bild, das ihr Ka beschmutzte. Erst als sie im Tempel neben einer unbußfertigen Tetischeri stand, während Amunmose für Kamose sang, schmerzte das Andenken nicht mehr so sehr. Es kehrte zurück und verdarb ihr das Abendessen und machte ihren Wein sauer, und als sie später Ahmoses Hand in ihre nahm, was allmählich zur traurigen Gewohnheit wurde, stellte sich das Andenken zwischen sein ruhiges Gesicht und die Worte, die sie ihm gern sagen wollte.
Gegen Mitternacht war sie zu müde zum Schlafen, schlenderte in den mondbeschienenen Garten hinaus und setzte sich in das Gras neben den dunklen Teich. Doch hier überfiel sie zum ersten Mal die Angst vor den Toten.
Sie bekämpfte die Furcht mit ihren frisch erworbenen Waffen, mit Selbstvertrauen, Mut und Kraft, und da verflüchtigte sie sich zwar, doch sie war sich sicher, dass sie noch immer unheimliche Geräusche hörte. Die Nachtluft schien leise Rufe heranzuwehen, vom Fluss her kam ein schwaches Plätschern und im Unterholz am Rand des Gartens raschelte es im Verborgenen. Und ich laufe nicht fort, sagte sie sich. Auf dem Fluss wird nachts geangelt, Nachttiere sind im Gebüsch unterwegs, Wachen schreiten auf und ab, das hier ist das Leben der dunklen Stunden, weiter nichts.
Doch mit ihrem zerbrechlichen Gleichgewicht war es vorbei und sie fuhr mit einem Schrei hoch, als aus dem Dunkel zwei verschwommene Gestalten zielstrebig auf sie zukamen. »Aahmes-nofretari, ich habe dich überall gesucht«, sagte ihre Mutter außer Atem. »Du musst sofort ins Haus kommen, wo dich die Getreuen bewachen können. Es gibt Ärger in der Kaserne. Die Soldaten desertieren. Sie haben Amun-nacht und etliche unserer Hauptleute umgebracht.« Die Gespenster flohen. Aahmes-nofretari sah Hor-Ahas besorgtes Gesicht.
»Ich gehe sofort zum Exerzierplatz«, sagte ihre Mutter. »Was ist mit unseren eigenen Soldaten, General? Laufen die auch fort?«
»Einige, Prinzessin«, antwortete er mit rauer Stimme. »Die Medjai unter Fürst Anchmahor bemühen sich, wieder Ordnung herzustellen, aber die Deserteure dürfen nicht weit kommen. Eine derartige Panik und Verdrossenheit wird sich auf jede Nomarche ausbreiten, wenn wir nicht auf der Stelle Einhalt gebieten.«
»Warum nur?« Aahmes-nofretari fühlte, wie die Panik auch sie packte.
»Weil sie meinen Worten nicht trauen«, sagte Aahotep grimmig. »Sie fürchten, sie ereilt das gleiche Schicksal wie die Fürsten, wenn ich erst einmal Zeit gehabt habe, über ihre Schuld nachzudenken. Und jetzt ist ihnen der Tod tatsächlich gewiss.«
»Was soll ich tun?«, fragte Aahmes-nofretari und in ihrem Kopf rasten bereits die Gedanken, was sie den verbleibenden Soldaten sagen würde, doch ihre Mutter schüttelte den Kopf.
»Dieses Mal nicht«, sagte sie mit Nachdruck. »Du musst bei deinem Mann bleiben.
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