In der Schwebe
Reparaturarbeiten und die biologische Säuberungsaktion zu vollenden, die sie und Jack begonnen hatten. Im kommenden Monat würden die letzten Ersatzteile für den beschädigten Hauptträger und die Sonnensegel mit der
Columbia
ins All transportiert. Die ISS würde nicht sterben. Es hatte zu viele Menschenleben gekostet, diese Raumstation im Orbit zu verwirklichen; sie jetzt aufzugeben würde bedeuten, all diese Opfer wären umsonst gewesen.
Wieder schoss hoch oben eine Sternschnuppe über den Nachthimmel, trudelte wie ein glimmendes Stück Kohle und verlosch. Die beiden warteten, hofften auf eine weitere. Andere Menschen, die eine Sternschnuppe erblickten, sahen darin vielleicht ein Omen, oder Engel, die vom Himmel herabschwebten, oder sie betrachteten sie als Gelegenheit, einen Wunsch loszuwerden. Emma sah sie als das an, was sie waren: kosmische Trümmer, die ihre unberechenbare Bahn durch die kalte, dunkle Weite des Alls zogen. Dass sie nichts weiter waren als Eis- und Gesteinsklumpen, machte sie nicht weniger staunenswert.
Während sie den Kopf in den Nacken legte, um den Himmel abzusuchen, wurde die
Sanneke
von einem Wellenberg angehoben, und sie hatte das verstörende Gefühl, die Sterne würden auf sie zustürzen, und sie würden durch Raum und Zeit dahinrasen. Sie schloss die Augen. Ohne jede Vorwarnung begann ihr Herz in unerklärlicher Panik zu pochen. Sie spürte, wie ihr der eiskalte Schweiß auf die Stirn trat.
Jack berührte ihre zitternde Hand. »Was ist los? Ist dir kalt?«
»Nein. Nein, kalt ist mir nicht …« Sie schluckte krampfhaft.
»Mir ist gerade ein schrecklicher Gedanke gekommen.«
»Was für ein Gedanke?«
»Wenn das USAMRIID Recht hat – wenn die Chimäre wirklich in einem Asteroiden auf die Erde gekommen ist –, dann ist das der Beweis, dass es da draußen Leben gibt.«
»Ja. Das wäre der Beweis.«
»Was, wenn es intelligentes Leben ist?«
»Die Chimäre ist zu klein, zu primitiv. Sie besitzt keine Intelligenz.«
»Aber vielleicht diejenigen, die sie geschickt haben«, flüsterte sie.
Jack war einen Moment lang vollkommen still. »Kolonisatoren«, sagte er leise.
»Wie Samen, die vom Wind davongetragen werden. Wo immer die Chimäre landet, auf jedem Planeten, in jedem Sonnensystem würde sie die einheimischen Arten infizieren. Würde ihre DNS in ihr eigenes Genom aufnehmen. Sie brauchte nicht Millionen von Jahren, um sich an ihre neue Umwelt anzupassen. Sie könnte das gesamte genetische Instrumentarium der bereits existierenden Lebensformen übernehmen, das sie zum Überleben braucht.«
Und wenn sie sich einmal eingenistet hat und die dominierende Spezies auf ihrem neuen Planeten geworden ist, was dann? Was war der nächste Schritt? Emma wusste es nicht. Die Antwort lag, so glaubte sie, in den Teilen des Chimären-Genoms, die sie noch nicht identifizieren konnten. In den DNS-Sequenzen, die nach wie vor ein Geheimnis blieben.
Ein neuer Meteor zog über den Himmel, mahnte sie daran, dass der Weltraum sich ständig verändert, nie zur Ruhe kommt. Dass die Erde nur einer von vielen einsamen Wanderern in den unermesslichen Weiten des Alls ist.
»Wir müssen bereit sein«, sagte sie. »Bevor die nächste Chimäre kommt.«
Jack setzte sich auf und sah auf seine Uhr. »Es wird langsam kühl«, sagte er. »Fahren wir nach Hause. Gordon geht in die Luft, wenn wir diese Pressekonferenz morgen versäumen.«
»Ich habe noch nie erlebt, dass er die Beherrschung verliert.«
»Du kennst ihn auch nicht so gut wie ich.« Jack begann am Fallreep zu ziehen, und das Großsegel stieg auf und flatterte im Wind. »Er ist ein bisschen in dich verliebt, weißt du das?«
»Gordie?« Sie lachte. »Das kann ich mir nicht vorstellen.«
»Und weißt du, was ich mir nicht vorstellen kann?«, sagte er leise und zog sie zu sich ins Cockpit. »Dass irgendein Mann sich nicht in dich verlieben würde.«
Der Wind frischte plötzlich auf und blähte das Segel, und die
Sanneke
schoss durch das Wasser der Bucht von Galveston dahin.
»Klar zum Wenden«, sagte Jack und steuerte sie durch den Wind, bis der Bug nach Westen zeigte. Nicht die Sterne wiesen ihm den Weg, sondern die Lichter am Ufer.
Dort, wo sie zu Hause waren.
GLOSSAR
Die NASA ist dafür bekannt, dass sie gerne mit Abkürzungen und Akronymen um sich wirft. Ein uneingeweihter Zeuge einer Unterhaltung zwischen NASA-Angestellten kann so schon einmal den Eindruck bekommen, eine Fremdsprache zu hören. Einige der in diesem Buch verwendeten
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