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In der Südsee. Zweiter Band

Titel: In der Südsee. Zweiter Band Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Louis Stevenson
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Blicken zu. Gleich Tentoruki war auch Tempinatake groß, hager und ein gewandter Redner – ein seltener Zug auf den Inseln. Er war Meister aller Künste, verstand sich auf Zauberei, war der beste Genealoge seiner Zeit, ein Dichter, Tänzer, Verfertiger von Kanoes und ein Waffenschmied; und der berühmte Mast von Apemama, der um eine Spanne höher war als der Hauptmast eines großen Segelschiffs, stammte in Entwurf und Ausführung von ihm. Doch waren dies alles nur Nebenbeschäftigungen, des Mannes eigentliches Gewerbe war der Krieg. »Mei Onkel, wenn eh gehen machen Klieg, eh lachen«, sagte Tembinok'. Er, der Schürer einheimischer Fehden, verbot die Verwendung von Feldbefestigungen; seine Leute mußten im Freien kämpfen, siegen oder auf der Stelle untergehen; seine eigenen Leistungen trieben seine Gefolgsleute an, und die Raschheit seiner Hiebe schlug im Verlaufe einer einzigen Generation den Widerstand der drei Inseln nieder. Er machte seinen Bruder zum Herrscher, seinen Neffen zum absoluten Tyrannen. »Mei Onkel, eh machen alles glatt«, sagte Tembinok'. »Ie meh König als mein Patah: ie haben Macht«, bemerkte er mit furchtbarem Behagen.
    So sieht das Porträt aus, das der Neffe von dem Onkel entwarf. Ihm zur Seite vermag ich ein zweites, von einem ganz anderen Künstler verfertigtes Bild zu stellen, einem Künstler, der mich häufig, ja, ich kann getrost behaupten, immer durch seine romantische Erzählungskunst entzückt und sehr selten von seiner Genauigkeit überzeugt hat. Ich habe mir indes die Verwendung so vielen ausgezeichneten Materials aus eben dem Grunde versagt, so daß ich es allmählich für angezeigt halte, die Tugend zu belohnen; und sein Bericht über Tembinatake stimmt so ganz mit dem des Königs überein, daß er sehr wohl (wie ich hoffe) eine Wiedergabe der Wahrheit und nicht (wie ich vermute) das reizende Spiel einer mehr als matrosenhaften Phantasie sein kann. A. – so will ich ihn lieber nennen – wanderte eines Tages bei Abenddämmerung auf der Insel umher, als er an ein erleuchtetes Dorf von nicht geringer Größe kam. Dort wurde er in das Haus des Häuptlings verwiesen und bat um Erlaubnis, sich setzen und eine Pfeife rauchen zu dürfen. Das Essen wurde gebracht, ein Gebet gesprochen (denn es waren die kurzen Tage des Christentums), und der Häuptling selbst betete mit Inbrunst und scheinbarer Aufrichtigkeit. Den ganzen langen Abend saß A. neben ihm und bewunderte beim Lichte des Feuers seine Person. Er war sechs Fuß hoch, hager, dem Äußeren nach schon alt, und aus seinem ganzen Wesen sprachen in außerordentlichem Maße Wohlerzogenheit und Autorität. »Er sah aus, als könnte er einen lachend umbringen«, sagte A. und sprach damit seltsamerweise ein Wort des Königs nach. Und wieder: »Ich hattegerade die Drei Musketiere gelesen, und er erinnerte mich an Aramis.« Das ist das Porträt Tembinatakes, von einem gewiegten Romancier gezeichnet.
    Wir hatten viele Geschichten von »Mein Patah« gehört, dagegen bis zwei Tage vor unserer Abreise nicht ein Wort von »meinem Onkel«. Als der Abschied näherrückte, ging eine große Veränderung in Tembinok' vor. An Stelle seines alten Ichs erschien ein weicherer Mann, der noch melancholischer und vor allem vertrauensvoller war. Meiner Frau versuchte er mühselig auseinanderzusetzen, er hätte zwar gewußt, daß es in der Natur der Dinge läge, seinen Vater zu verlieren, doch hätte er den Verlust erst vollkommen erkannt und beachtet, als der Moment dagewesen wäre; und jetzt, da er uns verlieren müßte, wiederhole sich das Erlebnis. Eines Abends veranstalteten wir auf der Terrasse ein Feuerwerk. Es war ein melancholisches Geschäft; das Gefühl der Trennung lastete auf allen, und das Gespräch stockte. Der König war besonders gerührt, saß untröstlich auf seiner Matte und seufzte viel. Plötzlich trat eine der Frauen aus der Gruppe hervor und zu ihm hin, küßte ihn stillschweigend und ging schweigend wieder an ihren Platz. Es war eine Liebkosung, wie man sie einem traurigen Kinde gibt, und der König nahm sie mit kindlicher Einfachheit hin. Nach einer Weile sagten wir gute Nacht und zogen uns zurück; allein Tembinok' hielt Mr. Osbourne fest, klopfte auf die Matte neben der seinen und sagte: »Du diß setzen. Ie miss fühlen schlecht. Ie mögen splechen.« Osbourne setzte sich zu ihm. »Du mögen Biehl?« fragte er, und eine der Frauen holte eine Flasche. Der Königtrank nicht, sondern saß seufzend und seine Meerschaumpfeife

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