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In einer Winternacht

In einer Winternacht

Titel: In einer Winternacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Higgins Clark
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Mark.
    »Laut Wettervorhersage soll es einen langen Winter geben«, sagte Alvirah. »Können Sie sich vorstellen, daß man all den kleinen Kindern in ein paar Wochen mitteilen muß, daß sie nicht mehr in die Tagesstätte kommen können, wo sie gut aufgehoben sind und im Warmen sitzen?«
    Das war natürlich eine rhetorische Frage, und Alvirah erwartete auch gar keine Antwort. Statt dessen galt ihre Aufmerksamkeit der anderen Straßenseite, wo eine junge Frau im Jogginganzug stand und das Pfarrhaus betrachtete.
    »Monsignore Tom«, meinte sie. »Sehen Sie diese Frau? Finden Sie es nicht merkwürdig, wie sie hier herumsteht?«
Er nickte. »Ich habe sie gestern auch schon beobachtet. Heute morgen war sie in der Frühmesse. Als sie gehen wollte, bin ich ihr nachgelaufen und habe sie gefragt, ob ich ihr helfen kann. Sie hat nur den Kopf geschüttelt und die Flucht ergriffen. Wenn sie etwas auf dem Herzen hat, über das sie mit mir sprechen will, muß ich vermutlich warten, bis sie damit zu mir kommt.«
Willy hielt Alvirah, die schon die Straße überqueren wollte, am Arm zurück. »Vergiß nicht, daß wir zur Tagesstätte müssen, um Cordelia bei den Vorbereitungen fürs Krippenspiel zu helfen«, erinnerte er sie.
»Damit meinst du wohl, daß ich mich nicht in anderer Leute Angelegenheiten einmischen soll. Wahrscheinlich hast du recht«, stimmte Alvirah belustigt zu.
Wieder blickte sie zur anderen Straßenseite hinüber. Die junge Frau ging rasch in Richtung Westen. Alvirah kniff die Augen zusammen, um das klassische Profil und die majestätische Haltung besser bewundern zu können. »Sie kommt mir bekannt vor«, stellte sie fest. »Langsam läßt mein Gedächtnis nach.«
    4

S
    ie reden über mich, dachte Sondra, während sie davoneilte. Die Renovierungsarbeiten an dem Haus, vor dem sie damals gestanden hatte, waren längst beendet. Kein Gerüst schützte sie vor Blicken, als sie überlegte, was sie tun sollte.
    Aber was konnte sie tun? Ganz sicher konnte sie jenen Tag vor sieben Jahren nicht rückgängig machen, an dem sie ihr Baby in einem Kinderwagen auf der Vortreppe des Pfarrhauses ausgesetzt hatte. Wenn es doch bloß möglich gewesen wäre! Lieber Gott, an wen soll ich mich wenden? Was ist mit meinem Kind geschehen? Wer hat mein kleines Mädchen aufgenommen? Sie mußte die Tränen unterdrücken.
    Ein Taxi mit eingeschalteter Beleuchtung war im Verkehr steckengeblieben. Sie hob die Hand und winkte dem Fahrer zu. »Ins Wyndham, 58. Straße West, zwischen Fifth und Sixth Avenue«, sagte sie, nachdem sie hinten eingestiegen war.
    »Zum erstenmal in New York?« fragte der Taxifahrer. »Nein.« Aber ich war sieben Jahre lang nicht mehr hier, dachte sie. Zum erstenmal war sie mit zwölf Jahren in New
    York gewesen. Ihr Großvater war mit ihr zu einem Konzert von Midori in der Carnegie Hall aus Chicago hergeflogen. Danach hatte er sie noch zweimal mitgenommen. »Eines Tages wirst du auf dieser Bühne spielen«, hatte er gesagt. »Du hast Talent. Du kannst genausoviel Erfolg haben wie sie.«
    Ihr Großvater, ein Geiger, dessen Karriere durch eine Arthritis jäh beendet worden war, arbeitete als Musiklehrer und Kritiker. Und er hat mich unterstützt, dachte Sondra traurig. Er war sechzig, als ich zu ihm gezogen bin.
    Sie war erst zehn Jahre alt gewesen. Ihre Eltern, beide noch sehr jung, hatten bei einem Unfall ihr Leben verloren. Großvater hat sich um mich gekümmert und mir alles beigebracht, was er über Musik wußte, erinnerte sie sich. Und er hat viel Geld ausgegeben, damit ich die großen Geiger auf der Bühne hören konnte.
    Ihr Talent hatte ihr ein Stipendium an der University of Birmingham eingebracht. Dort hatte sie im Frühling ihres ersten Studienjahres Anthony del Torre kennengelernt, einen Pianisten, der auf dem Universitätsgelände ein Konzert geben sollte. Und was dann passierte, hätte nie geschehen dürfen.
    Wie hätte ich Großvater sagen können, daß ich mich mit einem verheirateten Mann eingelassen habe? fragte sie sich nun. Es gab keine Möglichkeit, das Baby zu behalten. Ich hatte kein Geld für eine Tagesmutter und noch ein jahrelanges Studium vor mir. Und wenn ich Großvater meinen Fehltritt gestanden hätte, hätte es ihm das Herz gebrochen.
    Während das Taxi sich durch den zähfließenden Verkehr schlängelte, dachte Sondra an diese schreckliche Zeit zurück. Daran, wie sie das Geld für die Fahrt nach New York gespart und sich dort am 30. November ein billiges Hotelzimmer genommen hatte. Sie

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