In hellen Sommernächten - Burnside, J: In hellen Sommernächten
unser Haus eingedrungen, und sie hatte mich mit einer Macht verhöhnt, von der sie annahm, ich beneidete sie darum; ihr Name verband sich unau fl öschlich mit drei ungeklärten Morden, von denen sie mindestens einen beobachtet hatte, ohne auch nur den kleinen Finger zu rühren oder Alarm zu schlagen, trotzdem hätte mir der gesunde Menschenverstand sagen müssen, dass sie bloß ein junges Mädchen war – mit Problemen, gewiss, vielleicht auch bösartig, aber nur, wie dies geschädigte Kinder so oft sind. Der gesunde Menschenverstand hätte mir sagen müssen, dass sie nicht die Huldra war, weil – wieso vergaß ich das bloß? –, weil es die Huldra nicht gab. Die Huldra war nichts als eine Idee, zweifellos eine Metapher für etwas, das sich schwer benennen und bloß unter Schmerzen näher in Augenschein nehmen ließ, ein widerliches Gespenst aus alten Geschichten, wie man sie sich erzählt, um junge Burschen auf Kurs zu bringen oder um die Dunkelheit fortzuerklären. Eine Geschichte, eine Warnung, ein abgeteiltes Gebiet auf einer Karte, das es uns erlaubt, eine unmögliche Welt zu erkunden.
Ich blickte Kyrre an und sah die zusammengekniffenen Lippen, den starren Blick, sah den Gesichtsausdruck eines Mannes, der fest entschlossen war, etwas Schreckliches zu tun – und unternahm nichts, um ihn aufzuhalten. Stattdessen wandte ich mich zu Maia um und richtete durch einen Dunst von Zweifeln und absurden Fantasien einen verzweifelten Appell an das helle Taglicht in ihr, das ich doch längst abgeschrieben hatte. » Du kannst jetzt nicht gehen«, sagte ich. » Ich glaube nicht, dass Mutter schon mit dem Bild fertig ist.«
Maia lachte. » Das glaube ich aber doch«, erwiderte sie ohne eine Spur des Bedauerns. » Ich glaube, es war schon am ersten Tag fertig. Ehrlich gesagt …«, sie schaute erst Kyrre, dann wieder mich mit trotzigem Lächeln an, »… ich glaube, sie wusste schon, was sie malen wollte, noch ehe ich mich überhaupt in ihr nettes Atelier gesetzt hatte.« Sie ließ eine Hand in die Jackentasche gleiten – und ich wusste, darin steckte etwas, das Mutter ihr gegeben hatte, vielleicht auch ein kleiner Schatz, den sie heimlich hatte mitgehen lassen. Sie sah mich an, mit freundlicher Miene und ganz gelassen – doch wusste ich, dass sie meinen Verdacht spürte und ihn verletzend fand. » Ich glaube«, fuhr sie fort, und nichts änderte sich an ihrer Haltung, in ihrer Stimme schwang nichts Böses mit, » wenn ich mich nicht irre, dann hat deine Mutter das Bild schon vor langer Zeit angefangen und konnte es erst jetzt zu Ende bringen.«
Das traf mich wie ein Schlag – und zum ersten Mal wurde mir klar, dass Maia, als sie für Mutter Modell saß, die Treppe hinaufgestiegen war, an meiner Zimmertür vorbei, über den Treppenabsatz, und dass sie dabei das Porträt gesehen haben musste, das Mutter vor so langer Zeit begonnen und ohne ein Wort der Erklärung aufgegeben hatte. Sie hatte es gesehen und es durchschaut – zumindest glaubte sie das. Doch was sie gesehen hatte, war nicht die Wahrheit. Wie denn auch? Ich war nicht wie sie; Mutter wusste das. Sie wusste es – und was sie in diesem Porträt einzufangen versuchte, war mehr oder weniger das Gleiche, was Kyrre sah, wenn er sich sagte, dass Maia die Huldra war. Mutter hätte den Aberglauben des alten Mannes zweifellos belächelt, denn sie sah in Maia nur ein Mädchen, berührt von einer Dunkelheit, die bloß gewöhnliches Pech – gleichsam ein Talent für Tragisches –, ebenso gut aber eine Art Besessenheit sein mochte, eine Schwäche des Geistes oder der Entschlusskraft, die es der Dunkelheit gestattete, durch sie hindurchzuwirken. Eine Schwäche, die es ihr erlaubte, die Dunkelheit, möglicherweise unbewusst, in sich willkommen zu heißen – und ebendas hatte Mutter festhalten wollen: Empfänglichkeit im abstrakten Sinne , und nicht dieses verlorene Mädchen.
Ich schüttelte den Kopf, weigerte mich aber, auf diese Provokation einzugehen. Vielleicht erkannte ich darin den Wunsch, mich in das einzubeziehen, was sich mit Kyrre entwickelte, den Wunsch, mich zur Komplizin bei dem zu machen, was immer er ihrer Meinung nach plante. » Wenn sie mit dem Bild fertig ist, wird sie es dir bestimmt mal zeigen«, sagte ich. » Willst du es denn nicht sehen …«
Da brach sie in Lachen aus. » Ist schon gut«, sagte sie. » Ich muss es nicht sehen. Aber wirf selbst ruhig einen Blick drauf und sag mir, was du davon hältst.« Mit einem absurd lieblichen Lächeln
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