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In hellen Sommernächten - Burnside, J: In hellen Sommernächten

In hellen Sommernächten - Burnside, J: In hellen Sommernächten

Titel: In hellen Sommernächten - Burnside, J: In hellen Sommernächten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Burnside
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wandte sie sich zu Kyrre um. » Dank deines freundlichen Nachbarn«, fuhr sie fort, » wohne ich jetzt gleich die Straße hinunter … zumindest für eine Weile.«
    Kyrre nickte. » Akkurat.«
    Maia erwiderte sein Nicken und traf Anstalten zu gehen. Dann aber, als fiele es ihr nachträglich ein, nahm sie aus der Jackentasche, was sie umklammert hatte, und reichte es mir. Es war Geld, natürlich. Sie hatte es nicht gestohlen – und sie wollte mich nur sehen lassen, dass mein Verdacht unbegründet gewesen war. Die Bezahlung fürs Modellsitzen. » Gib das bitte deiner Mutter zurück«, sagte sie mit demgleichen spöttischen Glitzern in den Augen. » Ich habe es nicht verdient.«
    Wieder schüttelte ich den Kopf, sagte aber nichts. Ich wollte das Geld nicht anfassen, wollte überhaupt nichts anfassen, das sie berührt hatte – in diesem Moment schien das Haus hinter mir überall verunreinigt zu sein, durch den Kontakt mit ihr, ihren Fingern, ihrem Atem, ihrem Geruch und vor allem dem Blick aus ihren dunklen, glitzernden Augen. » Behalt es«, sagte ich schließlich. » Vielleicht brauchst du es noch.«
    Sie zögerte einen Moment, dann zog sie die Hand zurück und steckte das Geld wieder in die Jackentasche. Kyrre hatte derweil neben uns gestanden, zugesehen und mit der dumpfen Geduld eines Verzweifelten gewartet. Den Bruchteil einer Sekunde lang meinte ich, eine letzte Gelegenheit zum Einschreiten zu haben, eine letzte Gelegenheit, ihn von seinem Vorhaben abzubringen – und dann war auch dieser Augenblick vorbei. Vielleicht hatte es ihn nie gegeben. Vielleicht war alles wie in den Märchen längst entschieden. Zu lang hatte ich geschwankt zwischen jener Welt, in der nichts getan werden kann, und dem hellen Licht des Tages, das angeblich die Vernunft regiert. Jetzt aber war es zu spät. Ryvold sagte einmal, Trolle existierten, ob es uns nun gefalle oder nicht, doch bleibe es uns überlassen, welche Gestalt sie annehmen und über welche Fähigkeiten sie verfügten, denn das hänge allein davon ab, ob wir getäuscht werden wollten, ob wir uns dem Aberglauben überließen; in diesem Moment aber, und nur diesen Moment lang, glaubte ich ihm nicht. Als ich ihm dann glaubte, gab es nichts mehr, was ich noch hätte tun können.
    Ich sah sie davongehen. In irgendeinem Winkel meines Hirns betete ich oder hoffte doch, dass Kyrre den Plan aufgeben würde, mit dessen Hilfe er die Huldra von uns fortlocken wollte, aber ich wusste, es war zu spät. Er hatte sich entschlossen, dies durchzuziehen, beide hatten das – und mit einem Mal stellte ich sie mir zusammen vor, drüben in seinem Haus, nur wenige hundert Meter den Strand hinunter, sie beide mit einer Tasse Kaffee am Küchentisch, wo Kyrre und ich so oft gesessen hatten, inmitten von Zahnrädern und Zündkerzen, in einem Mief aus Motoröl und Terpentin und wie sie darauf warteten, dass einer von ihnen den entscheidenden Zug machte. Ein schreckliches Bild – ich fragte mich, was Kyrre sich nur dabei gedacht hatte, die Huldra in sein Haus einzuladen, wusste doch niemand besser als er selbst, dass sie weder aufgehalten noch besiegt werden konnte.
    Sie gingen langsam, Seite an Seite, unterhielten sich nicht, schauten sich nicht einmal an – und doch sahen sie einen Moment lang, kurz bevor sie verschwanden, nicht wie Fremde aus, die sich gerade kennengelernt hatten, sondern wie Verwandte, wie Familienmitglieder, die, ob sie einander nun mochten oder nicht, durch Blutsbande und Geschichte auf immer verbunden waren. Dieser Eindruck hielt einige Sekunden vor, nicht länger, nur, bis sie um die erste Wegbiegung verschwanden, doch ließ er sich nicht leugnen.
    Eine Weile starrte ich dann ins Leere, starrte Blätter und Luft an, die Birken fahler nun, hier und da von goldenen Flecken und Streifen gezeichnet, das Licht am Wegende schal und wenig überzeugend, als wäre etwas, was jahrelang dort gestanden hatte, ein hoher Baum oder behauener Stein, über Nacht herausgerissen worden, um eine Kluft zu hinterlassen, wo Masse hätte sein sollen. Ich wartete lang – mehrere Minuten, will mir scheinen, doch lässt sich das im Nachhinein schwer sagen – und während all der Zeit war ich bereit zu glauben, dass das, was ich gerade miterlebt hatte, nie geschehen war oder sich doch wieder umkehren ließe. Dann aber wandte ich mich ab, weil ich ins Haus gehen wollte, nicht so sehr mit dem Gefühl, versagt, als dem, allzu leicht aufgegeben zu haben. Ich stand noch am Gartentor, nur wenige Schritte

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