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In meinem Himmel

Titel: In meinem Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice Sebold
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Tagebuch. Er holte es heraus und begann zu lesen:
    »An den Spitzen der Federn ist Luft und unten am Kiel: Blut. Ich halte Knochen hoch; ich wünschte, dass sie wie Glasscherben Licht einfangen könnten... trotzdem versuche ich, diese Stücke zusammenzusetzen, sie richtig zu ordnen, ermordete Mädchen wieder lebendig zu machen.«
    Er blätterte weiter:
    »Penn Station, Toilettenkabine, Kampf, der zum Waschbecken führte. Ältere Frau.
    Häuslicher Vorfall. Avenue C. Mann und Frau.
    Dach an der Mott Street, heranwachsendes Mädchen, erschossen.
    Zeit? Kleines Mädchen im C.P. strebt auf Büsche zu. Weißer Spitzenkragen, vornehm.«
    Ihm wurde unglaublich kalt, aber er las weiter und schaute erst auf, als er hörte, wie Ruth sich regte.
    »Ich habe dir so viel zu erzählen«, sagte sie.
    Schwester Eliot half meinem Vater, sich in den Rollstuhl zu setzen, während meine Mutter und Schwester im Zimmer herumliefen und die Narzissen einsammelten, um sie mit nach Hause zu nehmen.
    »Schwester Eliot«, sagte er. »Ich werde Ihre Freundlichkeit nie vergessen, aber ich hoffe, es dauert ein Weilchen, bis wir uns wiedersehen.«
    »Das hoffe ich auch«, sagte sie. Sie schaute auf meine Angehörigen, die unbeholfen im Zimmer herumstanden. »Buckley, deine Mutter und Schwester haben keine Hand frei. Du bist dran.«
    »Lenk vorsichtig, Buck«, sagte mein Vater.
    Ich sah zu, wie sich die vier den Flur entlang auf den Fahrstuhl zubewegten, Buckley und mein Vater als Erste, während Lindsey und meine Mutter, die Arme voller tropfender Narzissen, ihnen folgten.
    In dem Aufzug, der sie nach unten brachte, starrte Lindsey in die Trichter der leuchtend gelben Blüten. Ihr fiel ein, dass Samuel und Hal am Nachmittag der ersten Gedenkfeier gelbe Narzissen im Maisfeld gefunden hatten. Sie hatten nie erfahren, wer sie dort hingelegt hatte. Meine Schwester sah die Blumen an und dann meine Mutter. Sie merkte, dass der Körper meines Bruders den ihren berührte und dass unser Vater, der in dem glänzenden Krankenhausrollstuhl saß, müde, aber glücklich aussah, weil er nach Hause kam. Als sie die Lobby erreichten und die Türen aufgingen, wusste ich, dass sie dazu bestimmt waren, dort zu sein, alle vier zusammen, allein.
    Während Ruanas Hände vom vielen Apfelschälen nass wurden und anschwollen, fing sie an, sich im Geiste das Wort vorzusagen, das sie seit Jahren verdrängte:
Scheidung
. Es war etwas an der nachlässigen Innigkeit in der Haltung von Ray und Ruth, das sie endlich befreit hatte. Sie konnte sich nicht erinnern, wann sie zum letzten Mal gleichzeitig mit ihrem Mann zu Bett gegangen war. Er kam ins Zimmer wie ein Gespenst und schlüpfte wie ein Gespenst zwischen die Laken, fast ohne sie zu zerknittern. Er war nicht lieblos auf die Weise, von der im Fernsehen und in den Zeitungen immer die Rede ist. Seine Grausamkeit lag in seiner Abwesenheit. Selbst wenn er kam und sich zu ihr an den Tisch setzte und die von ihr zubereitete Mahlzeit aß, war er nicht vorhanden.
    Sie hörte das Geräusch laufenden Wassers aus dem Badezimmer über sich und wartete eine ihrer Meinung nach taktvolle Zeit lang ab, ehe sie hinaufrief. Meine Mutter hatte heute Morgen angerufen, um ihr dafür zu danken, dass sie mit ihr gesprochen hatte, als sie aus Kalifornien anrief, und Ruana hatte beschlossen, einen Apfelkuchen vorbeizubringen.
    Nachdem sie Ruth und Ray jeweils einen Becher Kaffee gereicht hatte, verkündete Ruana, es sei schon spät und sie wolle, dass Ray sie zu den Salmons begleitete, wo sie beabsichtigte, leise zur Tür zu laufen und einen Kuchen auf die Schwelle zu stellen.
    »Puh, wie spießig«, stieß Ruth hervor.
    Ruana starrte sie an.
    »Entschuldige, Mom«, sagte Ray. »Wir hatten gestern einen ziemlich heftigen Tag.« Doch er fragte sich, ob seine Mutter ihm wohl je glauben würde.
    Ruana wandte sich der Küchentheke zu und brachte einen der beiden warmen gedeckten Apfelkuchen, die sie gebacken hatte, zum Tisch, wo ihr Duft in einem dampfenden Nebel aus den in die Kruste gestochenen Löchern aufstieg. »Frühstück?«, fragte sie.
    »Sie sind eine Göttin!«, sagte Ruth.
    Ruana lächelte.
    »Esst, so viel ihr wollt, dann könnt ihr euch anziehen und beide mitkommen.«
    Ruth schaute Ray an, während sie sagte: »Ich muss woanders hin, aber ich komme später vorbei.«
    Hal brachte das Schlagzeug für meinen Bruder herüber. Er und meine Großmutter waren sich einig. Wenn es auch noch Wochen hin war, bis Buckley dreizehn wurde, er brauchte es.

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