In Sachen Kain und Abel. Neue Satiren.
der wohl das Schärfste darstellte, was bisher gegen den »Moosmacher« geschrieben worden war: »Welch ein Abgrund sittlichen Tiefstandes tut sich hier vor uns auf! Da ist, um nur ein einziges Beispiel zu nennen, von den >bebenden Brüsten einer jungen Mulattin< die Rede, die sich >wie zwei Hügel aus Schokolade unter ihrer durchsichtigen Bluse wölbten< und ähnliches mehr. Mit solchen Mitteln wird auf die niedrigsten Instinkte des Lesers spekuliert. Wer braucht diesen schmierigen Absud einer perversen Phantasie? Es ist ein Skandal, daß so etwas bei uns überhaupt gedruckt wird!« Tags darauf bildeten sich vor den Buchhandlungen Schlangen von Käufern, die »das Buch mit den Schokoladehügeln« verlangten. Die Auflage war in wenigen Stunden vergriffen, auf dem schwarzen Markt wurden Überpreise für die wenigen noch vorhandenen Exemplare gezahlt, und als Schreibermann den Literaturprofessor in einem Interview als »alten impotenten Ziegenbock« bezeichnete, forderte dieser in einem offenen Brief an den Unterrichtsminister das Verbot des Romans, selbstverständlich erfolglos. Es erschien im Gegenteil eine zweite und kurz darauf eine dritte Auflage.
Jakob Schreibermanns Popularität wuchs ebenso wie sein Bankkonto. Er wurde zu einem begehrten Gast auf öffentlichen und privaten Veranstaltungen, zu einem allseits umbuhlten Gesellschaftslöwen und zur Hauptfigur auf der Jahresversammlung des Schriftstellerverbandes, wo er sich durch höhnische Zwischenrufe bemerkbar machte und in einer kurzen Wortmeldung behauptete, daß die israelische Literatur im vergangenen Geschäftsjahr außer dem »Moosmacher« nichts Nennenswertes hervorgebracht hätte. Ein Teil der Presse wandte sich heftig gegen diese Anmaßung, ein anderer Teil schlug sich auf die Seite des Autors und schien recht zu behalten: Schreibermann wurde mit dem begehrten Literaturpreis der Grinbotter-Stiftung ausgezeichnet.
Bald nach der feierlichen Preisverteilung brachte ein vielgelesenes Boulevardblatt einen von Simons S. Sluchowsky gezeichneten Artikel, der in der rüdesten Weise über die Preisrichter und den Autor herfiel und von nicht wiederzugebenden Schmähungen nur so strotzte.
Mittlerweile liegt der »Moosmacher« in einer sechsten Auflage vor, und der Kampf der Meinungen wogt immer noch hin und her. Jakob Schreibermann wird, wenn man nicht bald aufhört, ihn zu beschimpfen, über kurz oder lang als der bedeutendste Schriftsteller seiner Generation gelten.
Der Denunziant
(sehr frei nach Franz Kafka)
Als der Großindustrielle K. eines Morgens erwachte, fand er sich in ein riesiges Insekt verwandelt.
»Was ist da passiert?« fragte er sich entsetzt. Dann rief er sich die Ereignisse des vorangegangenen Tages, die zweifellos an seiner peinlichen Lage schuld waren, ins Gedächtnis zurück.
Er erinnerte sich genau an die sachliche, unbeteiligte Stimme, mit der ihm sein Buchhalter am Vortag mitgeteilt hatte, daß sein, K.'s, Unternehmen - eine florierende Import-Export-Gesellschaft - das laufende Geschäftsjahr mit einem Gewinn von einer halben Million israelischer Pfund, in Ziffern NIS 500000,-, abgeschlossen hatte.
Das bedeutete nach den geltenden Steuergesetzen, daß die Firma bzw. Herr K., nach Bezahlung der Körperschaftssteuer, der Investitionsanleihe, der Krankenversicherung, der Pensionsversicherung und einer Reihe anderer Abgaben dem Staat eine Gesamtsumme von 106,3% des erwirtschafteten Profits schuldete, in Ziffern NIS 531500,-, ein ansehnlicher Betrag, über den K. nicht verfügte.
»Das darf nicht wahr sein«, stellte K. in Gedanken fest. Es wollte ihm nicht in den Kopf, daß die Steuer, die er zahlen sollte, die Höhe seiner Einnahmen überstieg.
Mittlerweile hatte er sich wieder in den loyalen furchtsamen Bürger zurückverwandelt, der er war. Er erhob sich von der Lagerstatt seines alptraumgeschüttelten Schlafs, kleidete sich an und verließ das Haus, um der Angelegenheit nachzugehen. Sein Weg führte ihn in die Kanzlei einer renommierten Steuerberatungsstelle, die sich in den Geheimnissen des Steuerwesens um so besser auskannte, als sie von zwei ehemaligen Beamten des Finanzministeriums geleitet wurde. Die beiden Herren lauschten ihm mit gelangweilter Miene, denn sie bekamen solche oder ähnliche Geschichten beinahe täglich zu hören.
Als er geendet hatte und sie um Rat fragte, rieten sie ihm, sein Steuerbekenntnis zu fälschen.
»Wenn Sie es halbwegs geschickt anstellen«, sagten sie, »wird Ihnen weder das Finanzamt
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