In Vino Veritas
Gisela in U-Haft befand. Zum jetzigen
Zeitpunkt stünde aber noch gar nichts fest. Na, das würde die Familie ja
beruhigen! Anders ausgedrückt: Das würde der Sippe nicht genügen!
Bei einem ausgiebigen Frühstück sinnierte Julius zwischen Rührei und
Parmaschinken darüber, was er noch tun konnte. Als wären seine Verbindungen zu
den oberen Zehntausend – eher den oberen Zehn – im Ahrtal so gut!
Zwar aßen sie stets bei ihm auf Staats- oder Firmenkosten, aber viel mehr als
das übliche kulinarische Kurzgespräch nach dem Dessert pflegte er mit den
wenigsten.
Herr Bimmel sprang auf den Tisch und machte sich auf leisen Pfoten
gen Schinken, den Julius akkurat in parallelen Streifen auf den Teller gelegt
hatte. Einer war wie jeden Morgen für den pelzigen Mitbewohner. Während Julius
gedankenversunken Worcestershiresauce auf das Ei träufelte, kam er zu der
Erkenntnis, dass er der Familie weniger würde helfen können, als diese sich
erhoffte. Seine Verbindungen spielen zu lassen würde nichts bringen,
schließlich ermittelte die Koblenzer Polizei, und von denen kannte er
niemanden. Aber wenn die Sippe seine Unterstützung brauchte, so würde sie diese
bekommen. Familie war schließlich Familie. Egal, ob sie ihm beständig auf die
Nerven ging oder nicht. Wenn er irgendwie dazu beitragen konnte, Gisela auf
freien Fuß zu bekommen, so würde er das machen. Aber selbstverständlich erst nach dem Frühstück.
Nach kurzer Fahrt war er wieder in Dernau. Und nachdem er
den Anruf bei der Kripo vier verschiedenen Verwandten geschildert hatte, stand
er erneut in der Kelterhalle. Die Mittagssonne strahlte durch das in die
Wellblechdecke eingelassene Plexiglas. Der französische Maischebottich wirkte
noch grandioser, noch pompöser als am gestrigen Abend. Fast kam Julius sich vor
wie in einem Museum für moderne Kunst, so zielgenau schoss das Licht auf das
hölzerne Wunderwerk, den Staub dabei wie kleine Schneeflocken erhellend.
Er ging noch einmal die Leiter zum Bottich hinauf. Die Maische war
mittlerweile abgelassen worden und der Innenraum vom Kellermeister gereinigt.
Alles roch nach Reinigungsmittel. Julius blickte die Stufen hinunter. Gisela
sollte Siggi hier hoch gehievt haben? Unwahrscheinlich. Dafür war Siggi, der
allen leiblichen Freuden gegenüber offen gestanden hatte, viel zu schwer.
Vor dem Fenster zur Straße blieb Julius stehen und jagte seinen
Gedanken nach, die wie Hasen Haken schlugen. Er bekam keinen zu fassen. Wenn er
doch nur wüsste, wer einen Grund gehabt hatte, Siggi zu ermorden! Vielleicht
war es ja ein besoffener Ahrschwärmer gewesen, so einer wie jetzt vor dem
Weingut stand. Einer mit kaum benutzten Wanderstiefeln, roten Socken, Kniebundhosen
und viel zu dickem Norweger-Pullover. Der Mann hatte wirklich Traute! Stand da
dreist vor dem Haus eines erst gestern ermordeten Winzers und starrte
unverfroren hinein. Ein merkwürdiges Männchen war das. Topfschnitt und
Buddy-Holly-Brille – das wirkte mehr als nur ein wenig weltfremd. Jetzt
kam er auch noch näher! So viel Impertinenz war Julius zu viel. Er öffnete das
Fenster und wollte gerade etwas rufen, als der Mann mit staksenden Bewegungen
davonlief. Leute gab es. Das Ahrtal war doch kein Zoo, wo jeder gaffen konnte,
wie er wollte! Wütend schloss Julius das Fenster.
Als er sich umdrehte, entdeckte er ein Fass in der Ecke, das nicht
ganz exakt in Reihe lag. Eigentlich ging ihn das natürlich nichts an, aber
solche Unordnung durfte einfach nicht sein! Also rückte er das schwarze Schaf
zurecht. Zur Kontrolle schaute er noch einmal von beiden Seiten, ob jetzt auch
alles passte. Perfekt! Aber hatte das Fass nicht einen Fleck? Oder war das ein
großes Astloch? Solche mindere Qualität hätte Siggi doch nie genommen! Julius
ging näher heran und beugte sich so weit vor, wie es sein frisch befrühstückter
Bauch zuließ. Es war kein Fleck. Es war kein Astloch. Es war rote Farbe, mit
der etwas auf das Fass geschrieben war. Julius griff mit beiden Händen den vorstehenden
Daubenrand und drehte das Fass. Das knirschende Geräusch hallte von der hohen
Decke wider.
Julius konnte nicht glauben, was er sah.
Ein schriller Schrei verriet ihm, dass Annemarie zwischenzeitlich
den Raum betreten und die Schrift ebenfalls gelesen hatte.
»Mein Gott, wer hat denn das geschrieben? Das war bestimmt der
Mörder!«
Julius starrte ungläubig auf die Schrift, die säuberlich, in großen,
altdeutschen Lettern auf das Fass gepinselt war. Der Täter musste
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