In Vino Veritas
eine
Schablone benutzt haben, denn kein Farbspritzer fand sich neben dem Wort »
Verräter!
«. Julius
musste Annemarie Recht geben. Wer das geschrieben hatte, war auf Siggi bestimmt
nicht gut zu sprechen gewesen. Aber warum war das Fass so gedreht, dass es
niemand lesen konnte? Es gab einen Mann, der ihm vielleicht weiterhelfen
konnte.
Er fand ihn in den Rebhängen am Trotzenberg, oberhalb von
Marienthal. Er maß gerade das Mostgewicht der Trauben. Jetzt, da der Chef nicht
mehr war, fiel auch das in seinen Aufgabenbereich. Normalerweise hätte sich Julius
gefreut, mal wieder hier hochgekommen zu sein. Der Blick war traumhaft und
brachte ihm immer wieder zu Bewusstsein, warum er diesen Landstrich so liebte.
Die bedächtig und ohne Hast fließende Ahr direkt zu Füßen, die aus dem 12. Jahrhundert stammende pittoreske Ruine
des Augustinerinnenklosters in Marienthal zum Greifen nah, unter, über und
neben ihm Wein, Wein, Wein. Und diese Stille. Nur der Wind, der die Trauben
trocken hielt und durch die Weinberge tollte wie ein übermütiger Hund. Das
Wetter war nun schon seit Wochen prächtig. Es versprach ein großer Jahrgang zu
werden.
Der Mann, den er suchte, hielt das Refraktometer gen Sonne und
nickte. Die Trauben mussten eine gute Reife haben. Julius schlenderte den
steinigen Weg auf ihn zu.
»Tag, Herr Brück.«
»Herr Eichendorff. Mein Beileid.«
»Danke. Aber Sie hat der Verlust doch sicherlich mit am härtesten
getroffen.«
Brücks Augen waren verquollen. Er schien nicht viel Schlaf bekommen
zu haben. »Sammeln Sie mal wieder Kräuter?«
»Momentan sammele ich zur Abwechslung mal Informationen, wegen Ihrer
Chefin.«
Markus Brück, seines Zeichens Kellermeister im Weingut
Schultze-Nögel, ließ für einen Augenblick die Arbeit Arbeit sein und wandte
sich Julius zu. Dieser wurde den Gedanken nicht los, dass Brücks Knochen in der
Pubertät das Wachstum eingestellt hatten, die Muskeln jedoch fröhlich
weitermachten. Das blaue Polohemd war an praktisch jeder Stelle zu eng.
»Also, was die Polizei sich dabei gedacht hat … Ich weiß
nicht.«
Brück wirkte deprimiert. Den ansonsten stets gut gelaunten Mann
hatte der Tod seines Chefs sichtlich mitgenommen. Er stand gebeugt da, als
hätte ihn jemand geprügelt.
»Die Polizei hat ja auch das Fass nicht gefunden.«
»Das Fass? Welches Fass?«
Brück schien ehrlich erstaunt.
»Ich dachte, Sie wüssten davon.«
»Wovon reden Sie?«
»Ich bin eben noch mal in der Kelterhalle gewesen und habe da in der
Ecke ein Fass gefunden, auf dem etwas geschrieben steht.«
»Auf allen Fässern steht was geschrieben, sonst wüsste doch keiner,
was drin ist.«
»Es stand ›Verräter‹ drauf.«
Brück kniff ungläubig die Augen zusammen. »Verräter?!«
»In altdeutschen Lettern.«
»Wer macht denn so was?«
»Das wollte ich von Ihnen wissen …«
Brücks Erstaunen verwandelte sich in Ärger. Julius bemerkte mit
Unbehagen, wie der Muskelberg sich unter dem Hemd anspannte.
»Woher soll ich das denn wissen?!«
»Wer weiß denn besser über das Weingut Bescheid als Sie?«
Brück antwortete nicht, spuckte nur verächtlich auf den Boden, genau
vor Julius’ blank polierte Schuhe. Gut spucken gehörte im Weinbau zum Handwerk.
Denn Wein muss ständig probiert, aber nicht ständig getrunken werden.
»Anders gefragt: Wer könnte so etwas auf eins von Siggis Fässern
schreiben?«
»Also ich schon mal nicht, dass das klar
ist! Keine Ahnung, wer so was schreibt.«
»Hatte Siggi denn Feinde im Geschäft?«
Markus wurde theatralisch. » Feinde ? Phhh!
Woher denn? Ein paar waren neidisch, klar, weil sie’s selber nicht auf die
Reihe bekommen. Der Chef hatte als Einziger den Durchblick, wusste, wie der
Hase läuft und was die Zukunft bringt. Sonst hat doch hier keiner Mumm in den
Knochen gehabt. Aber Feinde? Nee. Um sich mit ihm anzulegen, hat doch allen der
Mut gefehlt. Und jetzt muss ich weitermachen. Die Arbeit erledigt sich
schließlich nicht von selbst!«
So harsch kannte Julius den zwar etwas tumben, aber sonst immer
freundlichen Kellermeister nicht. Irgendetwas war nicht in Ordnung. Brück
schien fast Angst zu haben.
»Was könnte Siggi denn verraten haben, dass man ihn Verräter nennt?«
»Ich muss wirklich arbeiten.«
Hier kam er nicht weiter.
Julius blieb nur noch, Brück den Eichendorff-Vers »Von Arbeit ruht
der Mensch rings in die Runde / Atmet zum Herren auf aus Herzensgrunde« mit auf
den Weg zu geben – auch wenn der auf wenig Gegenliebe
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