Industriepampe: Wie die Kunstprodukte unser Körpergefühl blenden (Ernährungs- und Bewegungsbibliothek)
Das Auge isst mit, das weiß jeder Koch. Das Gehirn schließt vom Aussehen auf das, was es erwartet. Ist die Frucht reif und damit verträglich? Ist die Nahrung frisch oder vergammelt? Ist das gekochte Lebensmittel gar? Man betrachtet zunächst die Oberfläche des Lebensmittels, beim Steak schaut man beim Anschneiden auf den Garzustand, eine Praline wird angebissen, um die Füllung zu betrachten. Das Aussehen beeinflusst sogar das Geschmacksempfinden, ein rotes Getränk empfinden Menschen bei gleichem Zuckergehalt als süßer als ein blau gefärbtes Getränk.
Dann berührt man das Produkt mit den Händen oder spürt die Konsistenz über das Besteck. Im Supermarkt hilft der Tastsinn, frische und feste Tomaten einzukaufen. Die Textur nimmt man durch lutschen, beißen und kauen wahr. Für das Geschmackserlebnis ist das Tastgefühl im Mund wichtig. Wie verändert sich die Nahrung beim Kauen? Die Rheologie ist die Wissenschaft, die sich mit dem Verformungs- und Fließverhalten der Materie beschäftigt. Die Psychorheologie beschäftigt sich mit dem sensorischen Erfassen der rheologischen Eigenschaften eines Produktes. Die Nahrungsmittelindustrie verwendet diesen Begriff, um zu beschreiben, wie sich ein Produkt im Mund anfühlt. Das Mundgefühl liefert Informationen über die Qualität und schützt vor dem Verschlucken einer Fischgräte oder eines Knochensplitters. Die Fadenpapillen der Zunge ertasten die mechanischen Eigenschaften der Lebensmittel. Wie groß ist der Kauwiderstand? Die Zunge bewegt die Nahrung im Mund herum. Im Rachen spüren wir die Nahrung ein letztes Mal, bevor wir sie runterschlucken. Die Zunge ist sehr tastempfindlich und bemerkt bereits kleinste Erhebungen. Nach einem Zahnarztbesuch spürt die Zunge noch die winzigste Kante an der neuen Zahnfüllung, kaum sichtbar für den Zahnarzt, für die neugierige Zunge mit ihrem starken Tastsinn ein Ärgernis. Ständig befühlt die Zunge die ungewöhnliche Stelle.
Das Mundgefühl eines Lebensmittels setzt sich zusammen aus der Viskosität oder Zähflüssigkeit (Joghurtgetränk im Vergleich mit Fruchtsaft), aus der Geschmeidigkeit (Kakao oder Milch im Vergleich mit Wasser) und aus dem Kohlensäuregehalt. Adstringierende Effekte findet man bei Produkten wie Whiskey oder trockenem Rotwein: Die enthaltenen Tannine hinterlassen ein pelziges Gefühl auf der Zunge. Bei alkoholischen Getränken spürt man neben dem sogenannten Abgang ein Brennen. Die Temperatur des Lebensmittels spielt ebenfalls eine wichtige Rolle für das Geschmackserlebnis, der Zustand des Lebensmittels verändert sich mit der Temperatur im Mund. Eis und Schokolade schmelzen und verändern ihre Konsistenz. Gerüche verflüchtigen sich in Abhängigkeit von der Temperatur unterschiedlich schnell. Süßes nehmen wir am stärksten bei einer Temperatur von 35 - 50 Grad wahr. Einem Eis muss man für den gleichen Süßungseffekt mehr Zucker zusetzen als einer Tasse warmem Kakao. Die Temperatur des Lebensmittels beeinflusst unsere psychische Befindlichkeit: Ein kühles Getränk tut bei Hitze oder Aufregung gut, ein heißer Kakao wärmt und tröstet im Winter. Fett vermittelt ein gutes und volleres Mundgefühl, man denke an Schokolade und an sahnige Saucen.
Über die Knochenweiterleitung vom Mund zum Ohr nimmt man Kaugeräusche intensiv wahr. Das akustische Erlebnis informiert über die Konsistenz der Nahrung, man denke an Knuspriges, Zähes oder an Breiiges. Das Knacken der Wurstpelle beim Beißen in eine Bockwurst, das Krachen der Chips, all dies ist für das Gesamtempfinden bei der Nahrungsaufnahme wichtig.
Der Geschmack und seine Komponenten
Im Mundraum wird die Nahrung von den Geschmacksknospen analysiert. Durch das Kauen und die Wärme steigen die Aromen über den Rachen in den Nasenraum auf, so wird der Geschmack durch die Eindrücke des Geruchssinns komplettiert. Früher hat man gelehrt, dass verschiedene Bereiche der Zunge für die vier Geschmacksqualitäten süß, salzig, sauer und bitter verantwortlich sind. Heute weiß man, dass die Geschmacksknospen auf der Zunge verteilt sind, wenn auch mit unterschiedlichen Schwerpunkten. In jeder Geschmacksknospe der Zunge sind 50 bis 150 Sinneszellen enthalten, die Geschmackspapille setzt sich aus vielen Geschmacksknospen zusammen. Die Schnelligkeit und der Rhythmus der Kaubewegung wird durch die Medulla oblongata im Hirnstamm kontrolliert. Hungrige Menschen kauen schnell, bei zunehmender Sättigung lässt man sich mehr Zeit. Genau wie die Atmung kann
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