Long Dark Night
1
Das Telefon klingelte bereits, als Carella die Dienststelle betrat. Die Wanduhr zeigte 23 Uhr 45.
»Ich bin schon weg«, sagte Parker und kämpfte sich in seinen Mantel.
Carella hob ab. »87. Revier«, sagte er. »Detective Carella.«
Und hörte zu.
Hawes kam in den Dienstraum und blies sich in die Hände.
»Wir sind unterwegs«, sagte Carella und legte auf. Hawes zog gerade den Mantel aus. »Laß ihn an«, sagte Carella.
Die Frau lag hinter der Wohnungstür. Sie trug noch einen Nerzmantel, der schon längst aus der Mode gekommen war und sich ins Gelbliche verfärbte. Ihr Haar hatte einen Schnitt, den man früher wohl wellenförmig genannt hätte. Silberblaues Haar. Gelbbrauner Nerz. Draußen auf der Straße waren es minus zehn Grad, doch unter dem Mantel trug sie lediglich ein geblümtes Hauskleid aus Baumwolle. Pantoffeln mit hohen, geschwungenen Absätzen an den Füßen. Zerknitterte Strümpfe. Ein Hörgerät im rechten Ohr. Sie mußte um die fünfundachtzig gewesen sein. Jemand hatte ihr zweimal in die Brust geschossen. Jemand hatte auch ihre Katze erschossen, eine Tigerkatze mit einem Einschußloch in der Brust und Blut im verfilzten Fell. Die Cops von der Mordkommission waren vor ihnen eingetroffen. Als Carella und Hawes hereinkamen, diskutierten sie noch, wie es wohl passiert war.
»Die Schlüssel liegen da auf dem Boden, er muß sie in dem Augenblick umgenietet haben, als sie die Wohnung betrat«, sagte Monoghan.
»Schließt die Tür auf, bumm«, sagte Monroe.
Es war kühl in der Wohnung, beide Männer trugen noch ihre Straßenkleidung, schwarze Ubermäntel, schwarze Fedoras, schwarze Handschuhe. In dieser Stadt war das Erscheinen der Detectives der Mordkommission am Tatort Vorschrift, auch wenn die eigentliche Ermittlung den Beamten des jeweiligen Reviers zufiel. Monoghan und Monroe sahen sich gern als professionelle Aufseher und Berater, sozusagen als kreative Mentoren. Sie waren der Ansicht, schwarz sei die passende Farbe für professionelle Berater der Mordkommission. Wie zwei riesige stämmige Pinguine, die Schultern hochgezogen, die Köpfe gesenkt, standen sie da und sahen zu der alten Frau auf dem abgetretenen Teppich hinab. Als Carella und Hawes in die Wohnung kamen, mußten sie um sie herumgehen, um nicht auf die Leiche zu treten.
»Sieh mal, wer da ist«, sagte Monoghan, ohne zu ihnen aufzublicken.
Carella und Hawes froren erbärmlich. In einer Nacht wie dieser pfiffen sie auf jede Beratung oder Beaufsichtigung, ob nun kreativ oder nicht. Sie wollten nur mit ihrer Arbeit anfangen. Der Bereich unmittelbar hinter der Tür stank nach Whisky. Das war das erste, was den beiden Cops auffiel. Das zweite war die zerbrochene Flasche in der braunen Papiertüte, die knapp außerhalb der Reichweite der knochigen, arthritischen Hand der alten Frau lag. Die gekrümmten Finger kamen ihnen außergewöhnlich lang vor.
»Habt ihr ‘ne Feier gehabt?« fragte Monoghan.
»Wir sind schon seit zwanzig Minuten hier«, sagte Monroe garstig.
»‘ne große Feier?« fragte Monoghan.
»Der Verkehr«, erklärte Hawes und zuckte mit den Achseln.
Er war ein großer, breitschultriger Mann und trug einen Tweedmantel, den ein Onkel ihm zu Weihnachten aus London geschickt hatte. Jetzt war der 20. Januar, Weihnachten war lange vorbei, der 21. war nur noch einen Herzschlag entfernt - aber im 87. Polizeirevier war Zeit nicht von Bedeutung. Rote Flecke im Stoff des Mantels wirkten wie Funken, die von seinem Haar auf das Material gefallen waren. Auch sein Gesicht war rot, von der Kälte draußen. Eine weiße Haarsträhne über seiner linken Schläfe sah aus wie funkelndes Eis. Diese Farbe hatte seine Furcht gehabt, als vor vielen Jahren ein Einbrecher mit einem Messer auf ihn losgegangen war. Der Arzt in der Notaufnahme hatte ihm das Haar abrasiert, um an die Verletzung heranzukommen, und es war weiß nachgewachsen. Die Frauen meinten, das sei sexy. Er erwiderte stets, die Strähne sei schwer zu kämmen.
»Wir nehmen an, sie hat einen Einbrecher überrascht«, sagte Monroe. »Das Schlafzimmerfenster steht noch offen.« Er nickte mit dem Kopf hinüber. »Wir wollten nichts anfassen, bis die Jungs von der Spurensicherung hier sind.«
»Die müssen auch ‘ne Feier haben«, sagte Monoghan.
»‘ne Feuerleiter direkt vor dem Fenster«, sagte Monroe und nickte erneut zum Schlafzimmer. »So ist er reingekommen.«
»Alle haben ‘ne Feier, nur wir nicht«, sagte Monoghan.
»Die alte Lady hier wollte auch feiern,
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