Infanta (German Edition)
Morgen, und am Ende des Frühstücks lag in der Mitte des Tisches ein sorgfältig zusammengeschobenes Häufchen Ruß. Erst nach mehreren Tagen, manchmal auch nie, begriff ein Gast, daß der Toast nur ein Vorwand war, um in den Genuß von möglichst viel Pflaumen-, Aprikosen- oder Granatapfelgelee zu kommen.
Der Superior und Butterworth verständigten sich über Besorgungen. Sie redeten mal Englisch und mal Cebuano, die Sprache der Einheimischen. Schließlich prüfte Butterworth die Brillenbefestigung, Zeichen zum Aufbruch, schlug ein Kreuz und erhob sich. Obwohl sämtliche Händler im Ort bereit waren, die Station zu beliefern, sprach Butterworth von der Notwendigkeit seiner täglichen Einkaufstour. Man muß sich zeigen, sagte er. Im Laufe der Zeit hatte er daraus das Recht abgeleitet, wann immer er wollte, den Jeep zu benutzen. Keiner machte ihm dieses Recht streitig, aber die anderen redeten offen über gewisse Allüren, die der achtzigjährige Bruder an den Tag lege, wenn er, die Zigarettenspitze im Mund und einen frechen Sonnenhut auf der Glatze, ohne Verdeck durch den Ort fahre.
Butterworth hatte sich umgezogen – Sandalen, flatternde Shorts, weißes Unterhemd, Halstuch – und war hinter den Rollstuhl getreten. »Sie könnten mir helfen, Mister Kurt. Draußen.« Er schob den Rollstuhl, ein schweres Gefährt aus den Kindertagen dieser Erfindung, auf die Veranda, schob ihn dort neben einen Korbsessel und fixierte die Bremsen, langte dann unter das Polster des Sessels, holte ein schmales, in Zeitungspapier eingeschlagenes Buch hervor, sagte, »Seine Lektüre«, und drückte Horgans magere Hände darum. »Und nun heben wir ihn hinüber, Mister Kurt, auf seinen Leseplatz, dort sitzt er bis zum Mittagessen. An manchen Tagen wechselt er selbst den Stuhl; heute ist er nicht so in Schwung.« Damit griff er ihm unter die Achseln, während Kurt Lukas, furchtsam, als könne Horgan entzweibrechen, die Beine des Priesters nahm. Sie hoben ihn an, er war leicht wie ein Kind. Kaum saß er in der Mulde, hauchte er eine Ziffer, und Butterworth schlug das Buch an der entsprechenden Stelle auf und gab es zurück. Horgan führte eine Hand an die Lippen, Speichel floß ihm über die Finger. Ein Faden entspann sich und lief bis in den Schoß. Zwischen dem Gestrüpp seiner Brauen verschwanden die Falten, und die Nase schien zu wachsen. Er lächelte. Er las.
Butterworth, morgens noch bleicher als abends, strich den Faden mit dem Handteller fort, bevor er den Gast beiseite nahm. Er ging mit ihm in den Garten, er zeigte Kurt Lukas das Reich des Superiors, Beete und Rabatten. In einem braunen Kittel, kaum zu erkennen, kniete Pacquin zwischen Tomatenstöcken und wühlte im Boden. »Er hat’s mit dem Unkraut«, sagte Butterworth leise und machte einen Bogen Richtung Sendemast. Die Sonne brannte jetzt schon, und der Priester legte sich das Halstuch auf den nackten Kopf. Er konnte sich keinen Stich leisten; sein Tag war ausgefüllt. Gleich kämen junge Gemeindehelferinnen, denen er einmal in der Woche die Beichte abnahm. Dann folgte die Einkaufstour, das tägliche Bad in der Menge, seine sichtbarste Freude. Der Nachmittag gehörte Gebeten und Schlaf und wieder Gebeten. Und gegen Abend war eine Prüfung aller Activa und Passiva fällig. Butterworth unternahm diese Prüfungen zweimal im Monat mit einer Leidenschaft, die er bereits verschleierte. Erst der spätere Abend, die Nacht, war frei, frei für seine heimlichste Passion, das Schreiben. Auch wenn er seit geraumer Zeit nichts zu Papier gebracht hatte, dachte er doch über Wege nach, die ihn wieder zum Bilden und Festhalten von Sätzen führen könnten; alles, was ihm fehlte, war ein Auftrag. Der bleiche Priester blieb stehen. Er hielt eine Hand gegen die Sonne und sah am Sendemast hoch.
»Father McEllis hat in Ihrer Gegenwart sicher schon den Namen Gussmann erwähnt. Wilhelm Gussmann hat den Orden und unseren Kreis verlassen; er war auch einmal Deutscher. Nun ist er staatenlos. Und seit dem Austritt gehört er eigentlich nirgendwohin. Vor einigen Jahren kam durch seine Vermittlung ein junges Mädchen zu uns. Sie arbeitet hier in der Küche, aber ich wollte etwas anderes sagen. Gussmann ist unwesentlich jünger als wir, lebt vom Verleih billiger Heftchen und läßt sich den Bart stehen. Gleichwohl übt er noch Anziehung aus auf die Frauen. Können Sie sich das erklären, Mister Kurt? Ich vermute, daß auch Sie Wirkung auf Frauen besitzen, über die Sie ab und zu nachdenken.«
Kurt
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