Infanta (German Edition)
überall auf der Welt offenbarte sich dieser Gemütszustand am Automobil. Weithin hörbar klang aus einem Horn auf Narcisos Wagendach als Hupmelodie Für Elise , quälend verlangsamt und in schnarrenden Tönen, wieder und wieder, bis endlich der erlösende Akkord einsetzte. Der Hauptmann hatte sein Standardsignal auswechseln lassen, nachdem der Kommandant eines Infanterieregiments bei Infanta von einer Hongkong-Reise mit einer Hupe heimgekehrt war, der die Fledermaus-Ouvertüre zugrunde lag. Narciso hatte sofort das Schmissige dieser Musik erkannt und dem entgegengesetzt, was er für erhabener hielt. Er gab viel auf Stil und Ästhetik. Sein Vorbild war der frühere Gouverneur der Provinz, ein Mann mit Maßanzügen, Schweizer Uhren und Flugzeug, den auf der Südinsel jeder kannte; Amtsmißbrauch und Predigten Gregorios hatten ihn um seine Wiederwahl gebracht.
Angeblich gehörten dem Ex-Gouverneur alle bedeutenden Gebäude entlang der Hauptstraße, bis auf die Kirche. Doch es gab Leute, die darauf schworen, daß er auch die Kollekte einstrich, um sie in immer weitere Chromteile an seinem Mercedes zu verwandeln; nie sah man den Politiker in Person, immer nur sein ultramarinblaues Fahrzeug. Glühende Windstille, die manchmal nächtelang auf dem Ort lag, und dieses schwere Auto, das waren die unterschätzten Prüfungen der Seele in Infanta.
Selbst in der Kirche fiel darüber kein Wort; sie war das einzige vollständig von Kandidatenbildern freie Haus weit und breit, ein gestreckter weißer Holzbau mit flachem Giebel und Spitzturm. Zwischen Portal und Hauptstraße lag ein schattenloser Platz mit einem Denkmal des Nationalhelden. Rund um das Denkmal standen Jeepneys, protzig verzierte Kleinbusse, die erst abfuhren, wenn sie mit Menschentrauben besetzt waren. Neben der Haltestelle fand jeden Vormittag ein Markt statt; unter der lebensgefährlichen Sonne war die Platzmiete geringer als während des Nachtmarkts. Der Tagesmarkt gehörte reisenden Händlern mit ihrem leisen Gefeilsche. Gekauft wurde kaum. Auch das Billigste war zu teuer. Ein Leibchen mit dem Kopf des Präsidenten kostete zwölf Pesos oder einen halben Dollar, ein Tageslohn für viele; die Leute befühlten es und gingen weiter. Nach elf Uhr leerte sich der Markt. Bald schien es nur noch Händler zu geben. Sie standen unter aufgesteckten, einen trügerischen Schatten spendenden Tüchern und sahen zu einem Mann, der alles mit großen Augen betrachtete, schillernde Fische und stinkende Innereien, minderes Spielzeug und teilnahmslose, an den Füßen aufgehängte Hühner. Kurt Lukas, noch in Reisekleidung. Er suchte nach einer hellen, freundlicheren Hose, aber alles, was in Frage kam, war zu klein. Umherlaufen und Bestauntwerden hatten ihn müde gemacht. Es war Mittag, als er die Kirche betrat.
Durch das lange lichtgedämpfte Schiff wehte ein Luftzug. Zwischen den Querbalken schossen Spatzen hin und her. An den Hauptpfeilern hingen Figuren, Heilige aus gesprungenem Holz. Sie hatten kaum noch Farbe auf ihren Gesichtern und einen überraschend sorglosen Ausdruck. Kurt Lukas ging durch den Mittelgang. Er setzte sich in eine der vorderen Reihen. Die Bank war glatt und kühl. Er faltete die Hände und sah zum Gekreuzigten, als würde er an ihn glauben.
Eine Katze schlich über die Stufen vor dem Altar, ließ sich dort nieder und blickte unbewegt ins Kirchenschiff. Kurt Lukas wandte den Kopf um. Unter einem der Heiligen kniete eine weinende Frau. Wie aus undichten Stellen flossen ihre Tränen; als er wieder zum Altar sah, war die Katze verschwunden. Schweiß tropfte ihm jetzt von den Brauen, fiel auf Wimpern und Wangen und rann ihm kitzelnd über den Hals. Er knöpfte sein Hemd auf und trocknete sich Stirn und Haar mit einem Ende; er schaute rasch über die Schulter. Auch die Frau war jetzt fort. Die Kirche gehörte ihm und den Spatzen. Er beobachtete ihre Flüge; seine Lider wurden schwer. Schließlich fielen sie ihm zu. Die Fäuste zwischen den Schenkeln, saß er da wie als Schüler, betäubt von zuviel Neuem, und hörte nicht, daß die Lehne knackte. Erst der Geruch einer frisch geschälten Mandarine ließ ihn die Augen aufschlagen.
Er sah ein gelbes Kleid und Hände, die die Mandarine hielten, junge Hände ohne Schmuck, mit kleinen hellen Nägeln. Als sie die Mandarine teilten, hob er den Blick und sah auf kürzeste Entfernung in ein Gesicht. Ein Mädchen schaute ihn an. Sekunden verflogen, bis es Ich bin Mayla sagte und ihm eine Hälfte gab. Er löste ein Stück
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