Inferno - Höllensturz
Ryan natürlich überhaupt nichts mehr; und auf die richtige Erklärung wäre er ohnehin niemals gekommen: dass man so etwas wie das bösartige Cooper-Double einen Hex-Klon nannte.
Ryan war sich am Ende nicht ganz sicher, was ihm den Rest gab oder wie das hatte passieren können, er wusste nur eins: Im einen Moment stand er noch körperlich unversehrt da, im nächsten lag er bewegungsunfähig auf dem Boden, ähnlich wie vorher der alte Mann, und hielt sich den Bauch. Gedrungene Gestalten standen um ihn herum. Etwas hatte seinen Bauch aufgerissen, und nun zankten sich diese Gestalten gierig um seine Gedärme, die aus der Wunde gezerrt wurden. »Ich will die Milz, ich will die Milz!«, bettelte einer. »Der Magen gehört mir«, erklärte ein anderer. Noch mehr böse Stimmen flatterten herum, während Ryan einfach nur zitternd am Boden lag. Begeistert räumten sie ihn leer, plünderten den menschlichen Rohstoff wie emsige Baumwollpflücker. Zwei stritten sich um das, was einmal sein Dünndarm gewesen sein musste: »Lass das sofort los! Das ist meins!«, und: »Nein, meins! Gib’s her, du Trollbastard!« Es war eine Art Tauziehen. »Hey, Kumpel«, flüsterte eine weitere nicht-menschliche Stimme ihm zu. »Wir verkaufen deine Innereien an einen Anthropomanten. Die zahlen gutes Geld für menschliches Gekröse. Daraus können sie die Zukunft lesen, und dann schicken sie Boten mit den Ergebnissen zu Luzifer. Danke für das Zeug, Sportsfreund …«
Abgesehen davon, dass er kein Wort verstand, war das auch so ziemlich das Ende für Officer Ryan. Vollkommen ausgeweidet lag er sterbend da, das Blut floss ungehindert aus der klaffenden Wunde. Waren das Milben, die da in seinem Blut herumkrochen? Alles war so schnell gegangen, sein Verstand konnte nicht einmal annähernd begreifen, was los war. Eine Klauenhand zog die Rolle Geldscheine von Dutch aus seiner Hosentasche, doch dann hörte er ein gutturales Zischen. »Das sind ja gar keine Höllenscheine! Fuck! Was soll ich mit dem Scheiß! Mir den Arsch abwischen?« Schritte entfernten sich schlurfend, während das Papiergeld langsam zu Boden fiel.
Da wurde Ryan von jemandem weggeschleppt – na ja, also, »jemand« war vielleicht nicht ganz das richtige Wort. Eigentlich war es ein weiblicher Ghul. Sie wirkte elegant mit ihrer muskatfarbenen Haut, geschmeidig und sogar sinnlich, die kessen Brüste wie harte Früchte über den hervorstechenden Rippen herausgereckt. Sie warf ihm über die Schulter einen Blick aus blitzenden Turmalinaugen zu, die so groß wie Billardkugeln waren. Dann runzelte sie die Stirn. »Ich würde dich ja selbst fressen, aber in der Wertstoffanlage bringt mir dein Fleisch mehr Zaster ein.«
Ryan verstand immer noch nicht. In der realen Welt wie auch in diesem abartigen Alptraum schien sich alles nur ums Geld zu drehen.
Ein stürmischer Wind wehte von der Bucht her und blies große Löcher in den beißenden Rauch. Das letzte bewusste Bild in Ryans Kopf war ein flüchtiger Blick auf die Innenstadt von Dannelleton: der Marktplatz, das Rathaus, die malerischen Cafés und die Bistros, der Souvenirladen und die deutsche Kneipe, wo er viele Krüge Bitburger vom Fass auf die Theke geknallt hatte. All das verglimmte nun, und dahinter standen trostlose graue Wolkenkratzer, die sich in den absurdesten Winkeln hierhin und dahin zu neigen schienen.
Und genau das war der Haken. Es gab überhaupt keine Wolkenkratzer in der Innenstadt von Dannelleton.
II
Walter warf die kleinen mandelfarbigen Pillen ein. Nein, er beging keinen Selbstmord – dafür hatte er das Gewehr gekauft, eine wunderschöne, nagelneue Remington 870 Pump. Die Pillen waren ein ganz gewöhnliches Eisenpräparat, weil Walter dem Arzt zufolge, zu dem Colin ihn geschickt hatte, leicht anämisch war. Das sah man ihm eigentlich auch an. Sein rotes Haar und der von Natur aus helle Teint schienen die klischeehafte Blässe des uncoolen Bücherwurms, der nie an der Sonne ist, obwohl er in Florida wohnt, noch drastisch zu unterstreichen. Achtzehn Jahr alt und hager wie Marilyn Manson. Sommersprossen. Keinerlei Selbstachtung. Es spielte keine Rolle, dass er den höchsten IQ an der gesamten University of Southern Florida hatte – einschließlich der Professoren. Wichtig war nur seine unerwiderte Liebe, und das war genau der Grund, warum er sich umbringen wollte.
Walter Grey hätte nicht in dem Wohnheimzimmer in Morakis Hall wohnen müssen; sein Bruder Colin hätte ihn in einem der luxuriösen Wohnblocks direkt
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