Inferno - Höllensturz
laut pochen. Was sollte sie noch fragen? Was sagt man denn so, wenn die Spiegelung eines fremden Wesens mit einem spricht – noch dazu in einer Irrenanstalt?
»Ich bin eine Caliginautin, Cassie«, fuhr die Reflektion – Angelese – fort. »Ich weiß nicht, ob du weißt, was das ist, und ich hab auch nicht besonders viel Zeit, um es zu erklären. Der Zauber hält kaum länger als eine Minute. Also mach ich’s kurz. Ich gehöre einem Orden der Seraphim an, einem ganz besonderen Orden. Die Angehörigen dieses Ordens steigen bereitwillig aus der Verzückung herab.«
»Seraphim«, wiederholte Cassie. »Dann bist du …«
»Ich bin ein Engel«, sagte Angelese, und plötzlich verzog sich ihr Gesicht, als ob sie einen plötzlichen Schmerz verspüren würde. »Ich wurde gesandt, um dir zu helfen.«
»Bei was zu helfen?« Cassies Augen leuchteten auf.
»Ich bin gekommen, um dir bei der Suche nach einem anderen Totenpass zu helfen. Ich bin hier, um dich zurück in die Hölle zu bringen …«
Das Wasser in ihren Händen hatte sich in Blut verwandelt. Angeleses Worte waren kaum noch zu hören, da füllten sich Cassies Ohren plötzlich mit einem hohen, schrillen Geräusch, das den gepolsterten Raum erfüllte wie ein Feueralarm. Cassie sank wie betäubt zu Boden, als hätte man sie niedergeschlagen. Das Blut in ihren Händen flog davon und spritzte auf die Stoffwände, und erst in diesem Moment wurde ihr klar, dass dieses Trommelfell zerfetzende Geräusch – dieser hohe, schrille, sirenenähnliche Ton – in Wahrheit das Schreien von Angelese war.
KAPITEL DREI
I
»Heydon, glaube ich«, sagte Officer Cooper hinter dem Lenkrad des Streifenwagens 208. »Cassie Heydon, ähm, Cassandra oder so ähnlich.«
Gerade hatten sie die unscheinbare Klinik von Dannelleton passiert, wo für besagte »Cassandra oder so ähnlich« – angeklagt der schweren Brandstiftung – derzeit ein psychiatrisches Gutachten erstellt wurde. Die beiden Bullen aus Dannelleton waren eiligst auf dem Weg zurück in die Stadt, um einem Notruf nachzugehen, der irgendwie verdächtig nach Brandstiftung klang. Beziehungsweise waren sie inzwischen nicht mehr eilig unterwegs; Cooper, der eigentlich eine Schwäche für Geschwindigkeitsübertretungen hatte, fuhr mittlerweile nur noch etwa fünfzehn Stundenkilometer, da die Sicht stark eingeschränkt war.
Ryan steckte den Kopf aus dem Beifahrerfenster. »Verflucht, du hast Recht. Das ist kein Nebel, das ist Rauch, und …« Er krümmte sich in einem heftigen Hustenanfall. »Und dieser Gestank! Der Geruch ist jetzt noch zehnmal schlimmer geworden!«
Cooper roch es auch; er konnte es sogar schmecken, stellte er mit gerunzelter Stirn fest. Es roch nach gebratenem Fleisch, aber nicht nach frischem Fleisch. Nach verfaultem Fleisch. Wie damals als Kind in Brackard’s Point, als sie diesen seit vier Tagen toten Deutschen Schäferhund anzündeten, den sie auf der Müllkippe gefunden hatten.
Ein widerwärtiger Gestank …
»Die Zentrale hat gesagt in westlicher Richtung, oder?« Ryan spähte aus dem Fenster, sah aber praktisch nichts.
»Ja, wir müssten eigentlich gleich da sein. Glaube ich.« Der Wagen kroch inzwischen nur noch vorwärts, der Rauch war so dick wir Erbsensuppe. Ryan versuchte, das Funkgerät anzuschalten. »Immer noch tot«, sagte er. »Wann ist das zum letzten Mal passiert? Klar, die beschissenen Telefone haben hin und wieder Aussetzer, aber wann hat zum letzten Mal das Funkgerät versagt?«
»Noch nie«, murmelte Cooper. Plötzlich stieg er auf die Bremse und brüllte »Scheiße!«, als ein unvermitteltes schnelles Hämmern auf der Windschutzscheibe einsetzte. Beide Polizisten tasteten nach ihren Waffen, bis sie einen alten Mann bemerkten, der sich durch das offene Fahrerfenster zu ihnen in den Wagen beugte.
»Verfluchte Hölle, was ist denn hier los?«, fragte er mit krächzender Stimme.
»Sir, wissen Sie vielleicht, wo es brennt?«, erkundigte sich Cooper.
»Teufel, nein, aber dass es brennt, darauf kannst du einen lassen.« Der alte Mann trug einen Schlafanzug, und er hatte sein Gebiss wohl noch nicht wieder eingesetzt, wodurch sein faltiges Gesicht noch länger wirkte. »Wo bleibt denn die gottverdammte Feuerwehr? Wieso geht das Telefon nich? Ich kann noch nich mal Nachrichten gucken, weil der verdammte Fernseher nich funktionieren tut.«
»Immer langsam, Opa, beruhigen Sie sich mal einen Moment, und beantworten Sie meine Frage«, sagte Ryan blinzelnd. Der Rauch kroch jetzt in den Wagen
Weitere Kostenlose Bücher