Ingrid
und hinter den Fensterscheiben und in den offenen Türen erschienen neugierige Gesichter. Ich ließ Ingrid los und ging rasch auf den Tumult zu. Bokhof stand kochend vor Wut Jenny gegenüber und zischte: »Blöde Kuh!«
»Na, na!«, sagte ich.
Bokhof drehte sich um, die dunklen Augen voller Hass, und stieß hervor: »Die weiß einfach nicht, was gut für sie ist!«
Ich machte mich auf einen Angriff gefasst, als er wie ein gereizter Stier auf mich loszugehen schien, doch er stampfte an mir vorbei und verschwand hinter dem Haus. Jennifer stand zitternd unter den Lampions. Auf der Schulter waren die Knöpfe ihres Mohairpullovers abgerissen, dort, wo eine von Bokhofs Kohlenschaufeln gewaltsam versucht hatte, sich einen Weg unter den Pulli zu bahnen.
Ingrid legte den Arm um sie. »Dieser Bauerntölpel!«, sagte sie tröstend. »Mach dir nichts draus. Komm mit, ich helfe dir, dich wieder ein bisschen zurechtzumachen …«
Jennifer schüttelte den Kopf. »Ich gehe nach Hause«, sagte sie, und mit einem Blick auf Ingrid: »Es tut mir Leid.«
»Du kannst doch nichts dafür. Was ist, wenn der Mistkerl noch oben auf dem Deich steht?«
»Ich werde schon mit ihm fertig.«
Das bezweifelte ich. Jennifer war zwar stark, aber sie hatte zu viel getrunken. »Ich begleite dich. Ingrid hat Recht, und so langsam muss ich auch nach Hause.«
Ingrid wirkte enttäuscht, konnte mir aber schlecht in aller Öffentlichkeit widersprechen. Sie nahm Jennifer in den Arm. »Ich bringe Tommy morgen nicht zu früh. Möchtest du ihm noch Auf Wiedersehen sagen?«
Jennifer schüttelte den Kopf. »Ich gehe lieber außen rum.«
Ich küsste Ingrid sittsam auf die Wange. »Einen schönen Gruß an Peter, und vielen Dank für die nette Party.« Ich winkte zum Fenster hin und der Gruppe am Fluss zu, doch niemand beachtete uns. Das mangelnde Interesse hatte etwas Unnatürliches, als bestünde die allgemeine Vereinbarung, derartige Vorfälle unverzüglich zu vergessen, um am nächsten Tag normal miteinander umgehen zu können. Vielleicht war dies eine von Einheimischen und Zugezogenen gemeinsam entwickelte Taktik, um Nachbarschaftsfehden von vornherein aus dem Wege zu gehen.
Ich nahm Jennifer an der Hand, als wir denselben Weg wie Bokhof einschlugen und über den Kiesweg am Haus entlang und dann den Deich hinaufgingen. Irgendjemand hatte die Musik ausgeschaltet, und als wir das Haus hinter uns gelassen hatten, legte sich eine nächtliche Stille über den Deich. Fluss und Felder glänzten magisch unter dem schwachen Licht der Sterne und der Sichel des zunehmenden Mondes.
»Wer ist dieser Bokhof?«, fragte ich.
Jennifer zeigte auf einen dunklen Bauernhof zwischen niedrigen Obstplantagen auf der zum Land hin gelegenen Seite des Deiches. »Ein Obstbauer.«
»Ist er denn nicht verheiratet?«
»Doch!«, Jennifer gab einen verächtlichen Laut von sich. »Er hat eine Frau und zwei Söhne.« Sie hakte sich bei mir unter, und wir gingen weiter.
»Belästigt er dich öfter?«
»Ja.«
»Warum tanzt du dann mit ihm?«
Nach einer Pause antwortete sie: »Er ist mein Vermieter.«
»Aha.«
Nach einer Weile fing sie von selbst an zu erzählen. »Ich habe es ihm sofort angesehen, aber ich war schwanger und brauchte eine Wohnung. Der Heuschober war genau das, was ich suchte. Nach Tommys Geburt kam er immer öfter zu Besuch. Ich versuchte, nett zu ihm zu sein, bot ihm Kaffee oder ein Bier an. Eines Tages sagte er, er wolle die Hälfte der Miete in Naturalien haben, und zwar mit einem Unterton, als hieße es, entweder das, oder die Kündigung. Ich … ich wusste nicht, was ich tun sollte.« Sie stockte und beichtete dann flüsternd: »Einmal habe ich ihm gegeben, was er wollte, und seitdem kann ich mich seiner kaum noch erwehren. Am liebsten würde ich morgen umziehen, aber wo soll ich denn hin?«
Sie klang verzweifelt, und ich drückte tröstend ihren Arm. »Vielleicht hättest du dich jemandem anvertrauen sollen …«
»Ach ja, wem denn? Seiner Frau vielleicht? Die hätte mich wie eine Hure vom Deich gejagt. Schließlich bin ich eine ledige Mutter.«
Ein leichtes Opfer, ganz gewiss in diesem Dorf. »Weiß Ingrid davon?«
Sie zuckte mit den Schultern. »Wahrscheinlich vermutet sie es. Ich habe nie mit ihr darüber gesprochen.«
»Es gibt doch so etwas wie Mieterschutz. Du könntest dich einfach an die Polizei wenden.« Jennifer blieb stehen und flüsterte: »Ich kann nicht zur Polizei gehen.«
»Warum nicht?«
Sie schüttelte den Kopf und murmelte: »Das
Weitere Kostenlose Bücher