Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ingrid

Ingrid

Titel: Ingrid Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Felix Thijssen
Vom Netzwerk:
Behauptung zu retten, er könne doch gar keine Ulmenkrankheit haben, da er doch ein Weißdorn sei. Daraufhin hielt er mir einen zehnminütigen Vortrag, aus dem ich der Bequemlichkeit halber schloss, dass in der Natur praktisch alles die Ulmenkrankheit bekommen konnte.
    Brack klang ein wenig angetrunken. »Max, ich habe versucht, Ingrid zu erreichen, aber ich glaube, irgendetwas stimmt mit unserem Telefon nicht. Würdest du mir einen Gefallen tun und mal kurz bei ihr vorbeischauen? Von dir aus ist es am nächsten.«
    Mir fiel ein, dass Jennifer noch näher wohnte und außerdem wegen ihres Kindes bei den beiden ein und aus ging. »Ich kenne mich nicht besonders mit Telefonen aus. Hat sie kein Handy?«
    Brack lachte. Ich hörte Stimmen im Hintergrund und ein Klavier. »Ich habe das Handy dabei«, sagte er. »Und du brauchst auch nichts zu reparieren. Ich möchte nur, dass sie Bescheid weiß, dass ich heute Nacht in Amsterdam bleibe. Ich muss morgen Früh um zehn noch zu einem Termin, den ich nicht absagen kann, und ich habe überhaupt keine Lust, bei diesem Mistverkehr hin- und herzufahren.«
    Der Mistverkehr, dafür hatte ich Verständnis. »Weiß sie, wo sie dich erreichen kann?«
    »Ich wohne in meinem Stammhotel an der Amstel, aber heute Abend gehe ich mit meinem Herausgeber und ein paar Geschäftsfreunden in der Stadt essen, und es kann spät werden, bis ich wiederkomme.«
    »Ich geh gleich mal kurz vorbei«, versprach ich.
    »Ich bin dir unendlich dankbar. Du bekommst eines der ersten limitierten und signierten Exemplare vom Witte van Hunsate.« Die letzte Bemerkung klang, als wolle er damit seiner Umgebung imponieren.
    »Schreib dein Meisterwerk doch erst mal«, murmelte ich, doch er hatte schon aufgelegt.
    Ich aß den kalt gewordenen Rest meines Strammen Max und zog das Telefonbuch zu mir hin. In unserem Dorf gab es nur eine Familie Brack. Ich hörte das Freizeichen, aber niemand nahm ab. Vielleicht war Ingrid nicht zu Hause und ich würde mich mit einem unter der Tür durchgeschobenen Zettel aus der Affäre ziehen können. Ich hatte Ingrid seit der Party nicht mehr gesehen und verspürte, so feige es auch war, keine Lust auf weitere Treffen und Komplikationen. Manchmal war es ganz angenehm, wenn bestimmte Dinge einfach einschliefen, verschwanden und vergessen werden konnten.
    Es wurde allmählich dunkel, als ich mich auf den Weg machte. In Jennifers Heuschober brannte Licht, und ich fragte mich, womit eine allein stehende junge Mutter ihre Abende ausfüllte, nachdem sie ihren kleinen Sohn mit einer Gute-Nacht-Geschichte ins Bett gesteckt hatte. Ich dachte daran, dass Peter wahrscheinlich deshalb mich und nicht Jenny angerufen hatte, weil er besser wusste als ich, dass sie Tommy nicht allein lassen konnte oder womöglich Gefahr liefe, diesem Grapscher von Bokhof auf dem Deich zu begegnen.
    Unser Deichabschnitt bildete in Verbindung mit zwei schmalen Zufahrtsstraßen eine für den Durchgangsverkehr sinnlose Schlaufe neben dem Rijksweg. Außer dem Postauto und einigen wenigen Lieferwagen sah man hier kaum andere Fahrzeuge als die der Anwohner, und daher nahm ich an, dass auch der Wagen, der mir mit Abblendlicht entgegenkam, zu einem der Deichhäuser gehörte. Es war ein dickes, amerikanisches Modell, ein Pontiac. Ich hob die Hand und trat an den Straßenrand, um ihn vorbeizulassen, doch der Fahrer hielt neben mir an. Zigarrenrauch quoll in dicken Schwaden heraus, als der Mann im Fond sein Fenster hinuntersummen ließ. »Hallo?«, sagte er.
    Ich beugte mich nach vorn, erkannte aber im Zigarrenrauch und dem dunklen Interieur wenig mehr als ein bartloses Gesicht, glattes schwarzes Haar und das Glänzen von Gold im Gebiss. »Ich suche eine Juffrouw Kramer«, sagte er. »Sie muss hier irgendwo wohnen.«
    »Der Name sagt mir nichts«, antwortete ich. »Haben Sie keine genaue Adresse?«
    »Es soll ein kleines Haus am Lingedeich sein.«
    »Ach so. Dann sind Sie hier falsch. Das hier ist der Polderdeich. Der Lingedeich fängt hinter der Brücke an.« Ich zeigte in die entsprechende Richtung. »Fahren Sie einfach geradeaus weiter und überqueren Sie die Straße, die zur Brücke führt, dann kommen Sie automatisch wieder zurück zum Fluss.«
    Der Mann murmelte etwas, das »Okay« aber auch »Fall doch tot um« hätte heißen können, und das Fenster summte wieder hoch. Der Pontiac mit seinen Dutzenden von flüsternden Zylindern verschwand in der Dämmerung.
    Ingrid wirkte ziemlich gereizt, als sie die Tür mit einem

Weitere Kostenlose Bücher