Inkarnationen 02 - Der Sand der Zeit - V3
dieser
Ignoranz hatten es Drachen und andere phantastische Wesen viel schwerer als im Europa des
Mittelalters. Manche liefen als weltliche Tiere maskiert herum - Einhörner, die sich ihre Hörner
abschnitten, um als Pferde durchzugehen; Greife, die sich die Flügel scherten und Löwenkopfmasken
anlegten, so was eben... Und manche wurden auch von Tierschützern auf ihrem Privatgelände
gehalten, die mehr für die Natur übrig hatten als für die Logik. Einige dieser Wesen entwickelten
Schutzillusionen, so daß sie wesentlich profaner aussahen, als sie in Wirklichkeit waren, und
auch Satan rettete einige, wenngleich die meisten seiner Wesen dämonisch sind. Aber jetzt ist das
Übernatürliche endlich wieder in Mode, und phantastische Kreaturen sind plötzlich nicht mehr
ausgestorben.
Manche Kreaturen werden allerdings wirklich lästig. Die meisten sentimental-liberalen modernen
Regierungen sind soweit ins andere Extrem umgeschlagen, daß sie es verbieten, diese Ungeheuer zu
vergiften oder zu erschießen oder mit Magie zur Strecke zu bringen. Deshalb müssen die bösen
Drachen auch auf altmodische Weise erlegt werden, nämlich mit dem Schwert.«
»Warum bringt man die bösen unter ihnen nicht einfach in irgendwelche Reservate?« fragte Norton.
Die Vorstellung, Drachen zu erlegen, entsetzte ihn.
Gawain schnaubte. »Mister, man kann einen Drachen nicht irgendwohin bringen! Die sind
schlimmer als Katzen! Wenn so ein Drache erst einmal sein Revier abgesteckt hat, dann verteidigt
er es auch. Verzaubert man das Ungeheuer und bringt man es in ein Reservat, bricht es einfach aus
und kehrt zurück, und zwar doppelt so stur und böse wie vorher, wobei es unterwegs unschuldige
Leute umbringt. Nein, ich respektiere Drachen als Gegner, aber der einzige wirklich gute Drache
ist ein toter Drache.«
Norton seufzte. Vielleicht war es ganz gut für die Welt, daß Gawain nur noch ein Gespenst
war.
»Das war meine Spezialität«, fuhr Gawain fort. »Das Erlegen von Drachen. Es war gefährliche
Arbeit, das ist wahr - aber der Lohn war auch ansehnlich. Weil es quasilegal war, gab es hohe
Honorare. Ich schätzte, daß ich nach fünf oder sechs Jahren Drachentöten reich und unabhängig
sein würde. Darum ging es ja gerade: zu beweisen, daß ich nicht einfach nur Reichtümer erbte,
sondern daß ich sie auch aus eigener Kraft ansammeln konnte. Ich wußte, daß meine Familie erfreut
sein würde; jedes ihrer männlichen Mitglieder mehrte das Vermögen, sofern es lange genug
lebte.«
Gawain überlegte einen Moment, und Norton unterbrach ihn nicht.
»Ich weiß, was Sie jetzt denken«, sagte Gawain. »Es ist wohl offensichtlich, daß ich einem
Drachen zuviel begegnet bin! Doch zu meiner Verteidigung möchte ich sagen, daß ich fünf Jahre
lang erfolgreich war und mein Planziel mit Bonusgeld beinahe erreicht hatte. Ich würde heute noch
leben, wenn der letzte Drache, dem ich gegenüber stand, echt gewesen wäre. Aber sehen Sie, er
trug ein falsches Etikett. Oh, ich will den Eingeborenen nicht die Schuld geben - jedenfalls
nicht die ganze; es war ein ziemlich primitiver Stamm in Südamerika, und sie sprachen eine
Mischung aus Amerind und Spanisch, während ich die Sprache der Weltmeister sprach, Englisch.
Normalerweise stellt die Sprache kein allzu großes Hindernis dar; meine Rüstung und mein Schwert
sprachen von meinem Beruf, auf meinem Schild trug ich das Drachenzeichen; und was Frauen betrifft
- um seinen Wert zu künden, braucht ein Mann niemals die Sprache der Zunge zu nutzen, vor allem
dann nicht, wenn er ein Krieger ist. Diese Dinge sind ohnehin ziemlich standardisiert; der
siegreiche Held kann sich immer nach Belieben die örtlichen Jungfrauen aussuchen. Ist für die ja
schließlich auch immer noch besser, als vom Drachen aufgefuttert zu werden!«
Er hielt einen Augenblick inne, seine Lippe zuckte.
»Komisch, daß manche von diesen Mädchen das gar nicht so sehen.«
Er zuckte die Schultern und kehrte zum Hauptthema zurück.
»Aber ich glaube, die wußten wirklich nicht genau, um was es sich bei ihrem Ungeheuer handelte.
Natürlich hätte ich die Sache beim Drachenregister nachprüfen müssen - aber ich war sehr weit
gereist, und der nächste Außenposten der Zivilisation war einen halben Tagesmarsch entfernt -,
konnte dafür natürlich keinen normalen fliegenden Teppich benutzen, da die Dinger an die
Tourcomputer angeschlossen sind, ich hätte dadurch mein Vorhaben preisgegeben - kurzum, ich hätte
Weitere Kostenlose Bücher