Inkarnationen 02 - Der Sand der Zeit - V3
mein Name«, sagte Norton und registrierte, daß der Mann die Betonung auf die erste Silbe
gelegt hatte. »Ich bin ein Hansdampf in allen Gassen, kann nichts wirklich richtig, außer
vielleicht Geschichtenerzählen.« Dann zuckte er zusammen. »Wie bitte?«
»Ein Gespenst«, wiederholte Gawain. »Hier, ich zeige es Ihnen.« Er streckte seine kräftige Hand
vor.
Norton packte sie und erwartete einen zermalmenden Handschlag - traf aber nur auf Luft. Er zog
die Hand zurück und berührte Gawains Arm. Nichts. »Ganz sicher sind Sie das!« meinte er. »Kein
Wunder, daß ich Sie nicht habe kommen hören! Sie sehen so feststofflich aus...«
»So?« fragte Gawain und wurde durchsichtig.
»Ich bin noch nie einem echten, lebendigen... äh...«
Gawain lachte. »Zumindest echt, ja.« Nachdem er seine Pointe losgeworden war, nahm er wieder
feste Gestalt an. »Norton, Sie gefallen mir. Sie sind unabhängig, genügsam, nicht eingebildet,
großzügig und offen. Ich weiß, daß mir Ihre Gesellschaft zugesagt hätte, als ich noch am Leben
war. Ich glaube, ich möchte Sie um einen Gefallen bitten.«
»Ich tue jedem Mann einen Gefallen - auch jeder Frau! Aber ich glaube kaum, daß ich allzu viel
für ein Gespenst tun kann. Ich nehme an, Sie interessieren sich nicht besonders für physische
Dinge.«
»Das schon, aber ich kann leider nichts damit anfangen«, erwiderte das Gespenst. »Setzen Sie
sich, essen Sie Ihr Abendessen. Und hören Sie sich, wenn Sie wollen, meine Geschichte an. Dann
wird Ihnen auch klar, worum es mir geht.«
»Für Gesellschaft bin ich immer zu haben, ob nun wirkliche oder eingebildete«, sagte Norton und
nahm Platz.
»Ich bin keine Halluzination«, versicherte ihm das Gespenst. »Ich bin eine echte Person, die rein
zufällig tot ist.«
Und während Norton aß, stellte sich die Erscheinung vor. »Ich wurde in eine reiche und edle
Familie hineingeboren«, sagte Gawain. »Ich wurde nach Sir Gawain von der alten Tafelrunde am Hofe
von König Artus benannt; Sir Gawain ist ein ferner Vorfahr von mir, und man hat von Anfang an
große Dinge von mir erwartet. Noch bevor ich gehen konnte, wußte ich mit einem Messer umzugehen;
ich zerfetzte meine Matratze und krabbelte hinaus, um den Hauspuk...«
»Puck?«
»Puk - ein kleiner Hausdrachen. Unserer war nur eineinhalb Ellen lang. Ich habe ihn fürchterlich
erschreckt; er schlummerte gerade an einem sonnigen Fleckchen. Danach mußten meine Eltern mich in
einen stählernen Laufstall einschließen. Mit zwei Jahren machte ich mir ein Seil aus meiner
Decke, kletterte über das Laufstallgitter und jagte hinter der Katze her. Als sie mich kratzte,
weil ich ihr den Schwanz abgeschnitten hatte, vivisezierte ich sie. Also beschaffte man eine
Werkatze, die sich in eine höchst abweisende alte Vettel verwandelte, wenn ich sie ärgern wollte.
Die hatte jedenfalls die richtige Kragenweite für mich; wenn ich mal gerade ihren Katzenschwanz
grillte, werwandelte sie sich plötzlich und grillte dafür meinen Hintern mit einem Gürtel.
Da entwickelte ich doch eine starke Abneigung gegen magische Tiere.«
»Kann ich mir vorstellen«, sagte Norton höflich. Er selbst war immer freundlich zu Tieren,
besonders zu den wilden, obwohl er sich durchaus auch verteidigen würde, falls er angegriffen
wurde. Gawain hatte einige Aspekte an sich, die ihm nicht ganz zusagten.
»Man schickte mich in die Gladiatorenschule«, fuhr das Gespenst fort. »Ich selber wollte dorthin
und meine Familie zog es aus irgendeinem Grund vor, mich aus dem Haus zu haben. Ich wurde
Klassenzweiter. Eigentlich hätte ich Erster werden können, aber der Primus besaß eine verzauberte
Rüstung, die er sogar nachts trug, so daß ich ihn nicht beseitigen konnte. Ein gerissener Typ!
Danach kaufte ich mir selbst eine prächtige Ausrüstung, gegen jede Klinge, Kugel und magische
Bolzen gefeit. Dann zog ich aus, um mein Glück zu machen.
Es gibt nicht besonders viele Drachen, wenn man es mal mit weltlichen Tieren vergleicht, und die
meisten von ihnen gehören geschützten Arten an. Tatsächlich respektiere ich Drachen; sie stellen
für mich eine außerordentliche Herausforderung dar. Es ist wirklich schade, daß der Mensch so
lange brauchte, um die Magie wirklich zu meistern. Sie ist erst in den letzten fünfzig Jahren zu
einer echten Kraft geworden. Ich glaube, man hat sie in der Renaissance unterdrückt, als die
Leute glaubten, daß es für alles eine rationale Erklärung geben müsse. Als Resultat
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