Inkarnationen 02 - Der Sand der Zeit - V3
»Vielleicht gilt das für ihren Geist
ebenso wie für ihren Körper. Da Sie mir gegenüber keinen Zorn hegen, akzeptiere ich Sie als
wohlgesinnten Gefährten und hoffe, daß ich Ihnen irgendwie helfen kann.«
Merkwürdigerweise gefiel ihm das Gespenst. Vielleicht lag das daran, daß es das Böse seines
Lebens bereits hinter sich hatte.
»Ihre Manieren gefallen mir«, sagte Gawain. »Ich sehe schon, daß wir nicht alles gleich sehen,
und ich glaube, das liegt daran, daß Sie ein sanfterer Mensch sind als ich es war. Seien Sie
versichert, daß ich für den Gefallen, um den ich bitte, eine Gegenleistung anbieten werde.
Möchten Sie lernen, wie man Drachen erlegt?«
»Oh, für einen Gefallen, den ich jemandem tue, verlange ich keine Gegenleistung!« protestierte
Norton.
»Es geht nicht um irgendeine unwichtige Sache. Ich würde es vorziehen, zu bezahlen. Der Gefallen
besteht lediglich darin, in die Sache einzuwilligen.«
»Nun denn, es würde mir Freude machen, zu lernen, wie man Drachen erlegt, wenngleich ich hoffe,
daß ich derlei Wissen nie anzuwenden brauche.«
Das war eine Untertreibung; er würde sich niemals auch nur in die Nähe eines Drachen begeben,
ohne den Schutzzauber zu besitzen - und mit diesem Zauber würde er ihn auch nicht umbringen
müssen. »Aber was ist das für ein Gefallen?«
Gawain runzelte die Stirn. »Ich ziehe es vor, zuerst ein wenig mehr Hintergrundmaterial
anzubieten, sonst könnte es Ihnen eventuell unmöglich sein, meiner Bitte zu entsprechen.«
Langsam wurde Norton neugierig. Das Gespenst gehörte zur harten, direkten Sorte von Mensch, mit
völlig fremdartigen Wertvorstellungen, aber zugleich war Gawain ein Gentleman. Warum ging er bloß
so umständlich vor? »Wie Sie wünschen, Sir.«
»Als ich starb, hatte ich mir ein hübsches Vermögen angehäuft, von meinem Erbe ganz abgesehen«,
fuhr das Gespenst fort. »Tatsächlich habe ich das Erbe noch gar nicht bekommen, da mein Vater
noch lebt, aber ich bin der Alleinerbe. Es ist wichtig, daß der Besitz in den Händen der Familie
bleibt. Deshalb hat auch meine mich überlebende Familie eine Gespensterehe in die Wege geleitet.
Das heißt, sie haben mich mit einer ausgezeichneten und gesunden jungen Frau von angemessener
Abstammung vermählt, die...«
»Entschuldigen Sie«, sagte Norton. »Ich glaube, ich verstehe nicht ganz. Wie kann ein Gespenst
heiraten?«
Gawain lächelte. »Ja, ich dachte mir, daß Sie das umhauen würde. Mich hat es auch
umgehauen, beim ersten Gedanken. Das ist ein Mittel, das verwandt wird, wenn eine Adelsfamilie
die eigene Erblinie aufrechterhalten will... und der Stammhalter nicht mehr im Geschäft ist. Dann
vermählt man das Gespenst mit einem geeigneten Mädchen... mit einem, zu dem er auch zu Lebzeiten
sein Einverständnis gegeben hätte... das dann seinen Erben austrägt und gebiert.«
»Aber...«
»Aber ein Gespenst kann keine lebende Frau befruchten. Das ist in der Tat ein Problem.«
»Ja. Ich weiß wirklich nicht, wie...«
»Darauf komme ich noch. Meine Frau darf mit jedem Mann Zusammensein, mit dem sie will - aber sie bleibt dabei meine Frau, und ihr Kind ist meines. Es wird meinen Besitz erben und meine
Linie fortführen.«
»Aber dann ist Sie Ihnen doch untreu!« protestierte Norton.
»Mit dieser Vorstellung hatte ich anfangs auch Probleme. Aber ich habe mich daran gewöhnt. Sie
weiß, daß sie den Erben stellen muß und daß ich es persönlich nicht tun kann. Aber ich bin daran
durchaus beteiligt, denn ich suche den Mann aus. Natürlich mit ihrer Einwilligung; schließlich
ist die Ehe eine Partnerschaft. Einige gute Kandidaten hat sie schon abgelehnt.«
»Sind Sie sicher, daß sie wirklich...«
»Oh, ganz sicher«, sagte Gawain zuversichtlich. »Sie ist eine gute und ehrliche Frau. Sie
versucht nicht, sich herauszuwinden. Sie möchte es lediglich richtig machen. Sie hat nämlich
dieses magische Talent: Sie braucht einen Mann nur anzuschauen, um zu wissen, wie gut er als
Gemahl wäre. Das ist auch ein Grund, weshalb meine Familie sie ausgewählt hat. Sie wollten nicht,
daß der Stammhalter von irgendeinem Tunichtgut armseliger Abkunft gezeugt wird. Sie ist wirklich
etwas sehr Besonderes. Wäre ich ihr im Leben begegnet, ich hätte sie mit Sicherheit geliebt, wenn
ich auch nicht allzu viel Geduld mit ihren Ansichten über Drachen gehabt hätte. Sie kann es nicht
ertragen, irgendeinem Lebewesen Leid zuzufügen. Wenn ich ihr also einen Mann bringe, den sie für
gut genug
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