Innenhafen
Antriebslos war ich, und unzufrieden mit der Situation. Nicht fähig, mich auch nur annähernd positiv zu irgendeiner der vielen Ideen zu stellen. Verdammter Mist!
* * *
Eigentlich hatte ich ausschlafen wollen. Konnte ich aber nicht. Die innere Uhr meldete Aufstehen, dem Urlaub zum Trotz.
Eine Weile wälzte ich mich hin und her und versuchte, wieder einzuschlafen. Ich hörte die Müllabfuhr rumpeln. Die Alarmanlage eines Autos ging bereits zum dritten Mal los. Und Bonnie stand erneut auf meinem Kopfkissen und leckte mir die Stirn. Auch ihre innere Uhr stand auf Aufstehen. Unmissverständlich. Beziehungsweise auf Fressen. Und da Max unregelmäßig und nicht kalkulierbar zu Hause war, war ich seit geraumer Zeit dafür zuständig. Ihre Schnurrhaare kitzelten mich und ich musste lachen.
»Rrrurrr«, gurrte sie begeistert, putzte erneut mit ihrer rauen Zunge über meine Stirn, warf ihren kleinen Brummmotor an und begann, das Kopfkissen neben mir mit spitzen Milchtritten zu bearbeiten. Also kraulen, aufstehen, füttern. Um sieben Uhr früh im Urlaub. Ganz schön bescheuert.
Eine halbe Stunde später saß ich bei Milchkaffee und frischen Croissants auf dem Barhocker an meinem Stehtisch und blätterte durch die Tageszeitung. Ich las jeden Artikel, der mich auch nur halbwegs interessierte. Zuletzt landete ich bei den Kurznachrichten im Regionalteil. »Brennende Autobahn«, las ich. »Vollsperrung auf der A 42. Die Kripo ermittelt.« Aha. Etwa die Ursache für das Desaster am Vortag?
Gestern ereignete sich in den frühen Morgenstunden ein schwerer Autounfall auf der A 42, der zu einer fast den ganzen Tag andauernden Vollsperrung zwischen Bottrop und dem Kreuz Essen-Nord führte. Ein aus Richtung Duisburg kommender Pkw geriet aus noch unbekannten Gründen ins Schleudern, kollidierte mit einem Tanklastzug und prallte frontal gegen einen Brückenpfeiler. Als der Pkw explodierte, verwandelte die ausgetretene Ladung des Lkw die Unfallstelle in ein brennendes Inferno. Während der Lkw-Fahrer sich selbst schwer verletzt aus dem Führerhaus retten konnte, kam für den 48-jährigen Fahrer des Pkw, Kurt Olaf T. aus Duisburg, jede Hilfe zu spät. Polizei und Feuerwehr waren etliche Stunden im Einsatz. Da Verdacht auf ein Tötungsdelikt besteht, wurde inzwischen die Kriminalpolizei Essen eingeschaltet.
Uah! Ich schüttelte mich, die gruselige Szene nur zu deutlich vor Augen. Vor Feuer hatte ich einen Höllenrespekt. Und dann dieser Name: Kurt Olaf T. Der kam mir irgendwie seltsam vertraut vor. Eine Weile grub ich in den Untiefen meines Gedächtnisses, aber es war sinnlos. Der Name ließ sich einfach nicht zuordnen. Schließlich gab ich auf und beschloss, dem unwirtlichen, regnerischen Märzwetter zum Trotz erst einmal eine Runde an die frische Luft zu gehen. Ich zog mir wetterfeste Schuhe und Regenjacke an und verließ die Wohnung.
Ich ging zügig. Sehr zügig. So schnell, dass ich fast rannte. Während ich durch das Mühlbachtal lief, entschied ich mich, den Urlaub zu Hause zu verbringen und mir ein buntes Programm für die kommenden zwei Wochen zusammenzustellen.
Da ich durch den strammen Spaziergang gerade so schön im Schwung war, begann ich nach meiner Rückkehr sofort, die Beete rund um meine Terrasse von den verdorrten Pflanzen zu befreien. Der Winter war lang und hart gewesen, und kalt war es immer noch. Eine ganze Menge war während dieser langen Frostperiode kaputtgegangen. Leider auch mein Oleander, den ich nicht rechtzeitig hereingeholt hatte. Über zwei Stunden lang schnitt ich Sträucher zurück, grub Wurzelballen aus, leerte Töpfe, zupfte undefinierbar wirkende, verdorrte Pflanzen aus den Beeten und entsorgte drei große Müllsäcke, gefüllt mit den Abfällen dieser Tätigkeit.
Der Gedanke schlich sich mit der Kälte in mein Hirn. Schule, signalisierte irgendeine der Synapsen weit hinter dem Stammhirn oder wo sich mein Memory-Chip sonst so befinden mochte. Schule. Kurt Olaf Türauf.
Ja klar doch. Mit schmerzendem Rücken richtete ich mich auf. Kurt Olaf. Über seinen Doppelnamen hatten wir uns immer ein wenig lustig gemacht, er selbst vorneweg. Unser Kurti. Dass mir das nicht sofort eingefallen war!
Ich machte mir eine Kanne Tee und ein paar belegte Brote und zog mich auf mein Sofa zurück. Legte eine CD von Amy Macdonald auf und dachte an früher. Holte den alten, geschnitzten Holzkasten aus dem Regal und wühlte in dem unsortierten Haufen nach einem bestimmten Foto. Da es großformatig war, fand ich es
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