Innenhafen
seufzte wieder. »Seiner Kindheit haben wir bislang noch nicht so viel Aufmerksamkeit geschenkt«, sagte sie. »Erst mal hatten wir mit der Identifizierung zu tun.«
»Wieso?«
»Na, Brandopfer halt, und Explosion. Da bleibt nicht sonderlich viel übrig.« Beas Tonfall war schnodderig.
»Ach du Scheiße.« In mir zog sich alles zusammen. »Aber ihr seid sicher, dass er es ist«, bohrte ich dann nach.
Sie warf mir einen prüfenden Blick zu. »Ja, sind wir«, sagte sie dröge und schob demonstrativ die Papiere auf ihrem Schreibtisch zu einem Stapel zusammen, so, als würde sie ein Buch schließen.
»Wie kommt es denn, dass der Ausweis noch lesbar war?« So schnell wollte ich nicht aufgeben.
Bea seufzte erneut. »Der Personalausweis war in einem Alukoffer. Und der wurde bei der Explosion aus dem Fahrzeug geschleudert.«
Wer trägt denn seinen Ausweis in einem Alukoffer mit sich herum?, fragte ich mich verwundert. Männer tragen ihre Papiere doch immer am Körper, entweder in der Gesäßtasche oder in einer inneren Jackentasche.
Wieder dieser prüfende Blick, dieses Mal gepaart mit Strenge. Der berühmt-berüchtigte Bea-Blick, der bedeutete, dass sie hierzu nichts weiter sagen würde. Ich war klug genug, das zu akzeptieren.
»Ich würde einfach nur gerne wissen, ob es wirklich Kurti ist«, brachte ich sie auf das Ausgangsthema zurück.
»Wenn ich die Akte richtig im Kopf habe, ist er in Neudorf aufgewachsen. Die letzten fünfzehn Jahre wohnte er im Dellviertel in einer etwas schrömmeligen Altbauwohnung. Ich war gestern dort.«
»In Neudorf aufgewachsen?« Ich rückte vor meinem inneren Auge den Duisburger Stadtplan zurecht und richtete den Fokus auf ein paar Straßenzüge östlich des Hauptbahnhofes. »Könnte passen. Ich weiß zwar nicht mehr, welche Straße das war, aber ich war öfter mal bei ihm zu Hause. Wir sind auf das Landfermann-Gymnasium in der Stadtmitte gegangen.«
»Na, dann scheint er ja nicht gerade viel herumgekommen zu sein. Wenn es denn wirklich dein Kurti ist.« Bea trommelte mit den Fingern auf die Schreibtischkante. Der Blick, den sie mir zuwarf, implizierte, dass ich jetzt aufstehen und gehen sollte. Den Gefallen tat ich ihr nicht.
»Hier ist ein Foto von unserer Klasse.« Ich zog das große Schwarz-Weiß-Bild aus der Innentasche meiner Jacke und reichte es ihr. »Vor der Differenzierung in der Oberstufe war das. Da ist er drauf.«
Bea nahm mir das Foto ab. Sah es an. Seufzte erneut und schob es mir wieder über den Tisch zurück. »Okay, er ist es«, bestätigte sie. »Zumindest ist diese Aufnahme hier auch in einem seiner Fotoalben. Dich hätte ich allerdings nicht erkannt, ebenso wenig wie ihn. Zufrieden? Was willst du mit dieser Information überhaupt anfangen?« Schon wieder dieser strenge Bea-Blick, der mich an den durchdringenden Blick eines Raubvogels erinnerte. An eine Harpyie, genau genommen.
»Nichts. Ich möchte es nur wissen.«
»Willst du etwa schon wieder auf die Pirsch?«, fragte Bea grantig. »Du hast doch jetzt einen ordentlichen Job!«
»Ich will nur auf seine Beerdigung gehen. Weißt du, wann die ist?«, lenkte ich ein. Dass ich gerade Urlaub hatte, musste ich ihr ja nicht auf die Nase binden.
»Ich glaube, diese Woche noch«, sagte Bea, nun etwas milder im Ton. »Warte, irgendwo habe ich es aufgeschrieben.« Sie kramte in dem Berg Papiere auf ihrem Schreibtisch herum. »Freitag, fünfzehn Uhr, Friedhof am Sternbuschweg in Duisburg«, las sie schließlich vor.
»Morgen schon. Das ging aber fix.« Ich war überrascht.
»Erdbestattung vermutlich. Bei meiner Tante neulich hat es auch keine drei Tage gedauert. Das Krematorium ist der Engpass.«
»Ja, das weiß ich. Mit fix meinte ich die Freigabe zur Bestattung. Wo doch die Identifizierung so schwer war …«
Bea kicherte. »Du siehst zu viel fern. Nur in Filmen werden Leichen tagelang in Kühlfächern gelagert und immer wieder begutachtet, weil sich irgendjemand mit irgendwas nicht sicher ist.«
»Wie jetzt?«
»Die Rechtsmedizin muss ebenso kostendeckend arbeiten wie andere Unternehmen auch. Das heißt, es wird getan, was getan werden muss, und damit ist die Sache dann erledigt«, erklärte Bea. »Eine Obduktion dauert im Regelfall ein paar Stunden. Lass es einen halben Tag sein, das ist aber schon hoch gerechnet. In unserem Fall wurde der Anfangsverdacht überprüft. Und der weist nun mal auf Kurt Türauf hin. Wie üblich hat man noch ein paar Gewebeproben entnommen und konserviert, und das war’s. Die
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