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Ins dunkle Herz Afrikas

Titel: Ins dunkle Herz Afrikas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Gercke
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Ich will nicht, dass ihr fliegt. Ich habe Angst um euch.« »Julia, Liebling, bitte versteh mich, ich muss herausbekommen, ob ich das wieder finden kann, was ich verloren habe. Ich muss! Meine Nächte sind zu schwarz geworden.«
    »Oh, Mami, du machst dir etwas vor, nichts wird sich dort geändert haben!«, sagte Julia und legte auf.
    »Oh, lass mich zufrieden«, fauchte sie durch die tote Leitung. Lächerlich, wischte sie Julias Worte innerlich weg, wovor sollte ich weglaufen? Und über BOSS will ich jetzt nicht nachdenken, wir le-158
    ben nicht mehr dort, wir sind nicht mehr interessant - ich lass mir mein Paradies nicht nehmen.
    Denn darauf reduzierte es sich für sie. Sie liebte dieses Land so sehr, sie sehnte sich so stark nach seiner Wärme, seinen Menschen, den Farben und Gerüchen, dass es ihr gelang, alles Hässliche beiseite zu schieben. Es war, als wäre die Erdanziehung in Afrika stärker als auf anderen Kontinenten.
    Berührten ihre Füße seine warme Erde, wurde sie zu einem Wesen, das aus ihr geformt worden war, voller Lebenskraft und Freude, das um die Geheimnisse von Afrikas Natur wusste und traumwandlerisch sicher seinen Weg fand. Plötzlich sah sie lachende Gesichter, ihr zugewandt, ausgestreckte Hände, hörte Stimmen, die sie riefen. Wie ein Stromschlag durchfahr es sie. Deswegen muss ich nach Südafrika fahren, dachte sie, um herauszufinden, ob die Hände noch ausgestreckt sind. »Du hast Recht«, stimmte sie lan zu, »was soll uns schon passieren.« Glücklich bereitete sie sich auf die Rückkehr in ihr Paradies vor.
    Es waren aufregende Tage für sie und für Deutschland, diese Wochen im Spätherbst 1989. Alle taumelten in Wiedervereinigungseuphorie. Jeder ihrer Freunde hatte irgendwo einen echten Ossi aufgetrieben, und allenthalben stiegen Wiedervereinigungspartys. Möllingdorfs schössen den Vogel ab. Als sie und lan mit einem Blumenstrauß bei ihnen vorführen, parkte bereits ein exotisches Gefährt, graubeige, klein, rechteckig, hässlich, neben Ingrids Cabrio. Ein Trabbi, ein echter sozialistischer Trabbi! Die dazugehörigen Besitzer, entfernte Verwandte von Heiner Möllingdorf, trugen ausgewaschene Jeans von merkwürdiger Farbe und wirkten einfach entzückend mit ihrem sächsischen Dialekt.
    Ingrid Möllingdorf half ihnen fürsorglich am Büffet. »Das ist A-vo-ka-do, schmeckt nach NUSS, und diese Tierchen hier nennen wir mbas.« Sie hob zwei davon auf Jürgens Teller, so hieß der männliche Ossi. Sie sprach laut und langsam, was ihr einen ganz und gar un-159
    sozialistisch spöttischen Blick von der Ossi-Frau eintrug. Sie hieß Helga, trug zu der Jeansjacke einen geblümten Rock und eine rötliche Pudelfrisur. Sie war Chemikerin, Jürgen Maurer. Eigentlich wollte er Architektur studieren, aber er durfte nicht. Später überhörte sie eine Diskussion zwischen Helga und Jürgen, in der es darum ging, ob sie einfach bei Möllingdorfs bleiben und nicht in den kalten Osten zurückkehren sollten. Das Haus sei ja groß genug für mindestens vier Familien.
    Ingrid betrachtete sich als sehr liberal und aufgeschlossen. Ein- bis zweimal im Jahr lud sie zu ihren so genannten ethnischen Abenden ein. Sie hatten schon Partys mit verschiedenen Ausstellungsobjekten veranstaltet. Für den indianischen Abend präsentierte sie eine Indio-Familie aus Peru, am afrikanischen tanzten Becky und ihre zahlreiche Verwandtschaft aus Ghana zu dumpfen Trommelklängen, und zu dem indischen Abend bat sie ein Sikh-Ehepaar aus dem Punjab. Ingrid dekorierte dann ihr Haus dementsprechend. Die Indios beispielsweise hockten in einem Dschungel von exotischen Kübelpflanzen auf Grasmatten und schnitzten an einem Blasrohr herum. Sich in die bereit gehängte Hängematte zu legen wagten sie wohl nicht. Auch das Büffet war immer auf die Gelegenheit abgestimmt. Für den indischen Abend hatte sie bei Kohinoor, Hamburgs bestem indischem Restaurant, ein Festmahl bestellt, das einen Maharadscha begeistert hätte.
    Sie meinte es wirklich gut. Jeder ihrer exotischen Gäste verließ ihr Haus reich beschenk, und ihre Freunde nötigte sie zu Spenden, die sie mit fröhlicher Brutalität genau auf deren Geldbeutel abstimmte. Und Jürgen aus dem Ossi-Land vermittelte sie zwischen Champagner und Kanapee eine Menge lukrativer Schwarzarbeit bei ihren Freundinnen, die ständig mit Renovieren und Umbauen ihrer Häuser beschäftigt und nur zu froh waren, ein wenig dabei zu sparen. Heiner bekam den Auftrag, sich bei seinen Geschäftsfreunden für

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