Cora Historical Gold - 129 - Die Novizin
1. KAPITEL
»Nicht schon wieder dieser Trampel! Gott bewahre!«
Die Äbtissin warf den Federkiel aufs Schreibpult und rutschte von dem hohen Hocker herunter. Mit einem Fuß stieß sie die dicken Lagen ihres wollenen schwarzen Habits zur Seite und eilte auf die Tür zu. Archibalda – ihre betagte Secretaria – sowie die Überbringerin der schlechten Nachricht hefteten sich beide an ihre Fersen. Im Laufen richtete die Klostervorsteherin den Blick nach oben und jagte noch eine weitere dringende Empfehlung zum Himmel: »Und, Gott, bewahre sie vor allem vor mir! «
Gespannte Erwartung breitete sich über das umfriedete Grün aus und weiter durch die offenen Türen, die auf den Garten, das friedliche Herzstück des Klosters, hinausgingen. Die Nonnen und ihre jungen Schutzbefohlenen hörten das Knirschen im Kies und ein gedämpftes Stimmengewirr hinter dem Rücken der Äbtissin. Einige ließen Stickarbeit oder Webstuhl im Stich oder unterbrachen die Unterweisung und wurden von der aufbrandenden Woge der Neugier im Fahrwasser der Äbtissin mitgerissen. Da braute sich ein Gewitter zusammen; und was konnte in dem streng geregelten Gemeinschaftsleben der Frauen wohl für größere Spannung sorgen als eine unmittelbar bevorstehende heftige Gefühlsentladung?
Es war weit nach Mittag und nicht mehr lange, bis die Glocken zur None läuten würden, doch die langen Holztische waren noch nicht gedeckt, und das Refektorium im Kapitelsaal war menschenleer. Über der Treppe, die in die Küche hinabführte, waberten Rauchfahnen, die sich zu immer dickeren Wolken zusammenballten, während die Klostervorsteherin mitsamt ihrem Gefolge hinabstieg. Der beißende Geruch von verbrannten Zwiebeln und verkohltem Fisch und Mehl, überlagert von einem gewissen »Nasser-Hund« -Aroma, ließ den Zug der Schaulustigen ins Stocken geraten. Erschrocken hielten sie sich die Nase zu. Doch die Äbtissin stürmte grimmig entschlossen und wehenden Schleiers vorwärts, denn jetzt stand für sie endgültig fest, dass man die Mahlzeit mit Verspätung einnehmen würde und wem man das zu verdanken hatte.
Überall lagerten neben- und übereinander Körbe voller Rüben, Mehl- und Hafersäcke sowie geflochtene Weidenverschläge mit Gemüse, an welchem noch feuchte Erde und Stroh aus den Mieten der Vorratskeller klebte. Die drei langen Arbeitstische in der Mitte der großen Steinkammer waren mit allerlei irdenem Geschirr, Eimern, Tranchierbrettern und ascheflockenpanierten Überresten von einst genießbarem Fisch übersät. Tische und Fußboden waren gleichermaßen mit Mehl bestäubt, und am anderen Ende der Kammer entquollen dem großen steinernen Ofen gleich an mehreren Stellen graue Rauchsäulen.
Wie versteinert stand Schwester Boniface, die Hauptköchin des Klosters, mit verrutschtem und verrußtem Gebende daneben, die kräftigen Arme vor dem Busen verschränkt, hinter ihr mit weit aufgerissenen Augen ihr Küchenpersonal: ein paar alte Nonnen, zwei Novizinnen, die zum Küchendienst abgestellt waren, und ein halbes Dutzend Waisenmädchen, die in der Küche halfen, und einige Krugjungen aus dem nahe gelegenen Dorf.
Durch den Dunst bohrten sich die Blicke der Äbtissin in eine rußbedeckte Gestalt, die einsam zwischen den Arbeitstischen und dem bullernden, viel zu heißen Ofen stand. Es war eine junge Frau in einem abgetragenen Novizinnenhabit. Das Husten und Flüstern ließ sie aufschrecken. Sie wandte sich um, fand die Augen der Äbtissin auf sich gerichtet und erstarrte.
»Was um Himmels willen macht Ihr da eigentlich?« schrie die Klostervorsteherin.
Rasch versteckte Eloise d’Argent den eisernen Schaumlöffel hinter dem Rücken. Sie hatte versucht, etwas verkohlten Fisch aus der Asche zu retten. Jetzt gefror ihr unter dem Blick der Äbtissin das Blut in den Adern, denn dieses Zornesfunkeln kannte sie bereits. Als Eloise nämlich den Brunnen zwecks Arbeitserleichterung manipuliert hatte, war dieser an einer Stelle eingestürzt, und das Kloster hatte ein, zwei Tage ohne Wasser auskommen müssen …
»Ich bin Schwester Boniface behilflich«, antwortete Eloise. Ihre Kehle war wie zugeschnürt und wäre es mit Sicherheit auch gewesen, hätte die Äbtissin der Novizin die Hände um den Hals legen können.
»Wobei denn?« donnerte die Klostervorsteherin und zeigte auf den qualmenden Ofen. »Etwa beim Niederbrennen der Küche?«
»Nein, Ehrwürdige Mutter, ich habe ihr nur gezeigt, wie man noch ein paar Sachen auf den … wie sie sich die Arbeit am Herd
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