Ins dunkle Herz Afrikas
verschwindet!«
»Das klingt nicht nett!« Er stand auf, ergriff ihre Hände, bevor sie es verhindern konnte. »Henrietta, warum bist du so unfreundlich? Wir haben dir doch nichts getan - oder haben wir jemals etwas gemacht, was dich verletzt hätte? - Nun?« Er zog sie an sich heran, sie wehrte sich dagegen, aber er besaß eine unglaubliche Kraft.
»Ich will mit euch und euren Freunden nichts zu tun haben. Verschwindet!« Sein Atem roch nach Fisch und Zwiebeln, und ihr Magen zog sich zusammen vor Ekel. Es gelang ihr, ihm ihre Hände zu 198
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entreißen. Sie sprang zurück. Draußen sah sie Julia über die Terrasse laufen.
Schmal, langbeinig, graziös wie eine Gazelle, in einem schenkelkurzen, gelben Kleid, ihre goldbraunen, schulterlangen Haare vom Wind verwirbelt. Es war unübersehbar, dass sie mit zehn Jahren kein kleines Mädchen mehr war.
»Hübsch ist eure kleine Julia, sehr hübsch«, bemerkte Jack. Nicht was er sagte, sondern wie er es sagte, ließ die feinen Härchen auf ihren Armen sich aufrichten. »Was wollt ihr von uns?«, fragte sie heiser. Oh, lan, bitte komm nach Hause, bitte beeil dich! »Ach, Henrietta, hab dich doch nicht so! Es tut dir doch nicht weh, wenn wir mal ein oder zwei Tage hier unterkriechen. Dein Haus ist schließlich groß genug, und Personal hast du auch.« Sie starrte Marina unter zusammengezogenen Brauen an. Immer erst bis zehn zählen, meldete sich Großmutters Stimme aus der Vergangenheit, dann sagst du nichts, was eine Dame später bereuen könnte. Sie jedoch bezweifelte, ob die beiden eine Dame überhaupt erkennen würden, und brüllte los. »Habt ihr noch nicht begriffen?
Ich will, dass ihr aus meinem Leben verschwindet, und wenn ihr je auch nur auf zwei Meter an meine Kinder herankommt - ich schwöre, dass ich euch umbringe.
So, und nun raus!« Schwer atmend hielt sie inne. Wortlos erwiderte Marina ihren Blick, äugte tierhaft durch die unordentlichen Stirnfransen ihrer schwarzen Haare. Sie war offensichtlich beeindruckt. Gut!
Plötzlich beugte sie sich zur Seite und erbrach sich über Henriettas Kübelpalme. Schwer atmend wischte sie sich anschließend über den Mund und drehte sich triumphierend zu Jack um. »Geschafft!«, rief sie und ballte eine Faust. »Nun kriegen sie mich nicht.« Sie strich ihre Haare hinter die Ohren und stand auf. »Wir müssen gehen, Henrietta, vielen Dank für deine Gastfreundschaft.« Sie war so überrumpelt von ihrem Verhalten, dass sie ein paar Sekunden sitzen blieb und ihnen sprachlos nachschaute. Als sie dann nach einigen kurzen Worten die Eingangstür hinter ihnen geschlossen hatte, lehnte sie verstört an der Wand. Erst die Drohung mit Julia und nun dieser merkwürdige Abgang. Sie rief Tita an. »Was bedeutet 200
das, kannst du dir einen Reim daraufmachen?« Mit lan konnte sie in diesen Tagen nicht über ihre Nachbarn reden. »Keinen Schimmer«, Henrietta hörte, dass sie irgendetwas kaute, »klingt verrückt. Aber du musst mit lan über die Sache mit Julia reden. Soll ich euch Twotimes schicken?«
Twotimes war ihr schwarzer Schatten. Eigentlich hieß er Julius, wie Daddy Kappenhofer. Neu brachte ihn vor vielen Jahren in sein Haus, damit er auf seine Familie aufpasste. Wer er war, woher er genau kam, woher ihn Neu kannte, erfuhren sie nie. »Er ist aus dem Norden«, sagte Neil, und das war es.
»Wir werden ihn Bob oder Billy nennen, Julius gibt es nur einmal, und das ist mein Vater«, verkündete Tita energisch. »Nun aber gibt es ihn zweimal«, quiekte Dickie, der damals noch nicht ganz drei Jahre alt war, vorlaut dazwischen. Und so kam Julius zu dem Namen Twotimes. Er war nicht groß, aber sehnig, seine Haut war so schwarz, dass sie einen bläulichen Schimmer hatte.
Kein Gramm Fett verwischte die Linie seines muskulösen Körpers, die hornigen Füße kannten offensichtlich keine Schuhe. Er heftete sich an Titas Fersen und ließ sie und ihre Kinder von diesem Augenblick an nicht mehr aus den Augen.
Henrietta zögerte. Es würde eine große Beruhigung sein. Mit Twotimes in der Nähe wären die Kinder sicher. Sie ahnte, dass er Männern wie Jack schon einige Male begegnet war - und überlebt hatte. Sie vermied es, sich auszumalen, wie die Begegnungen abgelaufen waren und ob die anderen noch lebten. »Ich red mit lan und sag dir Bescheid.«
Doch dazu kam es nicht mehr. Vor ihrem Tor hielt kurz darauf ein Taxi, und eine ältere, weißhaarige Dame stieg aus. Sie trug ein blaues Kostüm und einen blauen Hut, an dem der
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