Insel der Nyx: Insel der Nyx, Die Prophezeiung der Götter
gestikulierte wild und rief so laut, dass es an sämtlichen Hauswänden des Dorfes widerhallte: »Nicht so weit raus! Letzte Nacht war ein Erdbeben. Vielleicht war es nur ein Vorbeben und es geht jeden Moment wieder los!«
Eleni erstarrte für einen Moment im Wasser, dann musste sie lachen. Es war ihr Erdbeben gewesen, ihre Hände hatten es gerufen, sie konnte so viel in diesem Meer schwimmen, wie sie wollte. Plötzlich war das dunkle Gefühl zurück. Aber es war anders, keine Bedrohung mehr, sondern eine starke Kraft, die durch ihren Körper pulsierte. Sie wandte sich wieder zum offenen Meer und schwamm mit kräftigen Zügen gegen die Wellen, immer weiter hinaus, bis sie den Ausgang der Bucht fast erreicht hatte und schon sehen konnte, wie das Meer unruhiger und mächtiger wurde.
»Eleni! Nicht weiter raus!«, rief Kimon ihr nach. Er klang schon weit entfernt und ziemlich ängstlich. »Du darfst nicht weiter! Hinter den Klippen ist eine starke Strömung, die reißt dich ins offene Meer!«
Eleni drehte sich zu ihm um und schwamm für einen kurzen Moment rückwärts. Seine dunklen Haare klebten in einer dicken Matte auf seinem Kopf und das muntere Funkeln seiner Augen war nackter Panik gewichen.
Ein kleines bisschen tat er ihr leid. Für eine Sekunde überlegte sie, ob sie auf ihn hören sollte. Aber die neue Kraft ihrerMuskeln verlangte die Bewegung. Eine starke Meeresströmung wäre genau der richtige Gegner, um sich daran zu messen. Sie lächelte Kimon zu und winkte ihm. »Dann bleib du besser da! Und mach dir um mich keine Sorgen. Ich schaffe das schon.«
Gleich darauf warf sie sich in die Wellen. Sie blickte nicht mehr zurück und schwamm mit energischen Zügen parallel zu den Klippen, bis sie die Spitze der Felsennase erreichte. Tatsächlich wurde sie von der Strömung erfasst, ein wilder Sog, der sie aufs Meer hinaustragen wollte. Für eine Sekunde glaubte sie, dass sie einen schrecklichen Fehler begangen hatte. Doch dann strömte das dunkle Gefühl so heftig durch ihre Muskeln, dass ihre Schwimmbewegungen mit Leichtigkeit gegen die Strömung ankamen. Sie schwamm um die Klippen herum und der Strand verschwand hinter ihr aus ihrem Sichtfeld. Schließlich gab es nur noch die gewaltige Felswand rechts neben ihr und das offene Meer auf ihrer linken Seite. Weiter hinten sah es so aus, als würde etwas durch die Wellen springen. Für einen Moment fragte Eleni sich, ob es Delfine waren, die sich dort tummelten. Als sie jedoch das nächste Mal in Richtung Sonne blinzelte, waren die Tiere verschwunden.
Stattdessen entdeckte sie etwas anderes: Sie hatte die Felsennase umrundet und auf der anderen Seite der Klippen lag ein weiterer Strand. Ein kleiner Strand, umhüllt von einer tiefen Felsenschlucht. Ein einzelnes Haus stand dort, und dahinter zog sich ein niedriger Tamariskenwald in die Schlucht hinein. Ein paar Ziegen und ein Esel liefen im Schatten der Bäume umher.
Aber was Elenis Blick fesselte, war ein Mädchen mit langenschwarzen Haaren, das aus der Tür des Hauses heraustrat und aufs Meer schaute, als würde sie nach etwas suchen. Die Fremde musste im gleichen Alter sein wie sie.
Ein starkes Kribbeln zog über Elenis Hinterkopf. Für einen Moment schienen sich ihre Blicke zu begegnen. Das Mädchen trat einen Schritt auf sie zu. Auch Eleni wollte durch die Bucht auf sie zuschwimmen, wollte an den Strand gehen und sie begrüßen.
Doch das dunkle Gefühl hielt sie davon ab. Irgendetwas stimmte hier nicht.
Das Mädchen senkte traurig den Kopf, hob eine Wanne mit Wäsche vom Boden und trug sie zu einer Wäscheleine, die zwischen den Tamarisken gespannt war.
Leándras Herzschlag tobte vor Angst. Die Stimmen der Jungen riefen wild durcheinander, Vasili hatte sich längst ins Wasser gestürzt, um seinem Bruder und Eleni hinterherzuschwimmen, aber Eleni war bereits so weit entfernt, dass ihr Kopf kaum noch zwischen den Wellen zu erkennen war. Die Jungen riefen etwas von Strömung und Gefahr und auch der kleine Bruder von Vasili war inzwischen wieder umgekehrt und schwamm zurück zum Strand.
Nur Eleni verschwand hinter den Klippen im offenen Meer, bis keine Spur mehr von ihr blieb. Leándra rief nach ihrer Schwester, eine Hand legte sich tröstend auf ihre Schulter, aber sie wehrte sie ab. Nur aus den Augenwinkeln erkannte sie, wie mehr und mehr Erwachsene an den Strand kamen und Kosta einem der Fischer mit wilden Gesten etwas erklärte. Als der Fischer schließlich sein Motorboot startete und auf das Meer
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